Pflanzenheilkunde

Brennnessel – ungekrönter Superstar der Unkräuter

28. März 2023
Brennnessel

Mit Brennnesseln verbinden die meisten Menschen schmerzhafte Erfahrungen, weshalb sie nicht bei allen sehr beliebt sind. Schon der Römer Plinius bezeichnete die Brennnessel als „die am meisten verhasste Pflanze.“ Dabei weiß sie durchaus positiv zu überraschen, wie Du im folgenden Beitrag selbst lesen kannst.

Rudi Beiser

Lesezeit: 4 Minuten

Loblied auf ein Unkraut

Die Große Brennnessel (Urtica dioica) ist 2022 zur Heilpflanze des Jahres gewählt worden. 1996 hatte sie diesen Titel schon einmal erhalten. Das soll uns auch nicht verwundern, denn die Brennnessel hat wesentlich mehr zu bieten als die meisten Heilpflanzen. Sie ist auch ein essbares Wildkraut und hat zudem eine große ökologische Bedeutung für die Insektenwelt: Sie bietet Lebensraum und ist Nahrungslieferant für über 150 Insektenarten. Beispielsweise nutzen unsere schönsten Schmetterlinge, die Tagfalter, die Brennnessel als Futterpflanze. Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, Admiral, Distelfalter und Landkärtchen ernähren sich im Raupenstadium hauptsächlich von ihren Blättern. Zwar gilt sie in der Landwirtschaft als invasives Unkraut, aber was will das schon heißen, wenn man diese zahlreichen Vorzüge kennt.

Die Brennnessel als Flüssigdünger

Falls Du einen Garten hast, kannst Du Dich ebenfalls über die Brennnessel freuen. Aus ihr lässt sich eine Jauche herstellen, die als Flüssigdünger dienen und die Gesunderhaltung der Gartenpflanzen fördern kann. Über den Kompost gebraust, beschleunigt die Jauche den Rotteprozess.

Brennnesseljauche

1 kg frische Pflanzenteile in 10 l Wasser geben und bis zur Gärung stehengelassen. Vorsicht: Geruchsbelästigung ist möglich! Nach der Gärung die Jauche 1:10 mit Wasser verdünnt anwenden.

Fasern aus der Brennnessel

Aus den robusten Fasern des Stängels der Brennnessel wurden schon in der Steinzeit Schnüre und Netze geflochten und strapazierfähiges Nesseltuch gewebt. Im Mittelalter kultivierte man die Nessel speziell zur Fasergewinnung, bis sie schließlich von der Baumwolle verdrängt wurde. Der hohe Wasserverbrauch und Pestizideinsatz beim Baumwollanbau sowie die Umweltbelastung erdölbasierter Fasern wie Acryl, Polyester und Nylon könnten der nachhaltigen Brennnessel zur Renaissance verhelfen.

Brennnessel: wertvolle Heilpflanze

Die Brennnessel besitzt viele wohltuende Eigenschaften. Sie hat es als anerkannte Heilpflanze in die Arzneibücher geschafft. Sie wurde wissenschaftlich gut untersucht, was die Monografien des HMPC, der ESCOP und der Kommission E deutlich belegen. Laut den Monografien nutzt man in erster Linie die Blätter aufgrund ihrer harntreibenden, schmerzlindernden, antioxidativen und entzündungshemmenden Wirkung. In Form von Tee oder auch als Mus können sie demnach bei rheumatischen Beschwerden helfen, indem sie Gelenkschmerzen reduzieren und die Beweglichkeit der Gelenke verbessern. Bei Harnwegsinfekten nutzt man die durchspülende Wirkung der harntreibenden Pflanze. Dadurch könnten die Erreger ausgeschwemmt werden. Einige aktuelle Studien weisen auch darauf hin, dass die Brennnesselblätter blutzucker- und blutdrucksenkend wirken.

Achtung! Eine innerliche Anwendung bei Ödemen infolge eingeschränkter Herz- oder Nierentätigkeit darf nur nach ärztlicher Absprache erfolgen.

Für Arzneizwecke werden die Brennnesselblätter kurz vor Blühbeginn im Mai geerntet. Bei Untersuchungen wurden in diesem Monat die meisten wirksamen Inhaltsstoffe in den Blättern festgestellt. 

Wichtige Inhaltsstoffe der Brennnesselblätter

  • Sekundäre Pflanzenstoffe: Flavonoide, Phenolsäuren, organische Säuren, Carotinoide, Chlorophyll, Gerbstoffe
  • Nährstoffe: Proteine, Provitamin A, Vitamin C, Kalium, Kalzium, Magnesium, Eisen, Mangan

Die gelblichen Wurzeln enthalten andere Stoffe als die Blätter, beispielsweise Lektine und Sterole. Sie können deshalb den Monografien des HMPC, der ESCOP und Kommission E zufolge vor allem den Männern dienen – zur Linderung der Beschwerden bei gutartiger Prostatavergrößerung (benigne Prostatahyperplasie). Sie können den Harnfluss verbessern und den nächtlichen Harndrang reduzieren.

Ein Highlight in der „wilden Küche“

Man glaubt es kaum, aber die pieksende Brennnessel bietet unserem Gaumen unglaubliche Genüsse. Der Brennnesselgeschmack ist sehr nuancenreich, am besten beschrieben mit Adjektiven wie würzig und spinatartig.

In der Küche verwendet man aber nur die jungen Triebspitzen, also die oberen 3 Blattpaare. Ältere Blätter schmecken nicht so fein. Von März bis Anfang Mai ist die ideale Erntezeit der Blätter. Denn wenn die Brennnessel ab Mitte Mai Knospen ansetzt, schmecken die sie nicht mehr. Das Abmähen der Nesseln sorgt dann übrigens für einen neuen Austrieb mit zarten schmackhaften Blättern.

Kaum ein Wildgemüse ist so vielseitig einsetzbar und kaum eines enthält so viele Vitalstoffe. Am besten Du probierst zunächst einmal den Brennnesselspinat (siehe Rezept unten). Im Gegensatz zum echten Blattspinat ist er sehr gut verträglich, da er keine Oxalsäure enthält.

Ansonsten nutzt man die aromatischen Blätter in Suppen, als Belag von Quiche oder als Füllung von Pfannkuchen, als Bestandteil von Risotto und Nudelaufläufen. Oder als Füllung für einen Neujahrsbrennnesselkuchen.

Die jungen Blätter eignen sich püriert auch sehr gut zum Grünfärben von Nudelteig, Brotteig, Kartoffelpüree oder Pfannkuchenteig.

Bedenken wegen der Brennhaare musst Du nicht haben: Sie werden durch das Erhitzen zerstört. Und wenn Du Brennnesselblätter für einen Smoothie oder ein Pesto verwendest, zerstört der Mixer bzw. Pürierstab die Brennhaare.

Ab September kannst Du die kleinen Früchte (Samen) der weiblichen Brennnesselpflanzen ernten. Diese nussig schmeckenden Kraftpakete sind voll von Proteinen und ungesättigten Fettsäuren (v.a. Linolsäure). Du streust sie einfach frisch oder getrocknet über Salate oder Müsli. Besonders delikat schmecken sie, nachdem sie in einer trockenen Pfanne, also ohne Fett, etwas angeröstet worden sind.

Brennnessel
Ab September kannst Du die kleinen Früchte (Samen) der weiblichen Brennnesselpflanzen ernten. Quelle: Rudi Beiser, Friesenheim

Hinweis! Menschen mit einer Histaminunverträglichkeit sollten Brennnesseln auf Grund ihres Histamingehaltes nicht verzehren.

Brennnesselspinat

Zutaten

  • 750 g frische junge Brennnesselblätter
  • 1 Zwiebel
  • 2 EL Butter oder Olivenöl
  • gekörnte Brühe/Gemüsebrühe
  • Pfeffer
  • 1 EL Sojasoße
  • 100 g Sauerrahm oder Crème fraîche

Zubereitung

Die Zwiebel kleinhacken und in Fett anbraten. Die kleingeschnittenen Brennnesselblätter zu den Zwiebeln geben. 5 -10 Minuten andünsten, mit gekörnter Brühe, Sojasoße und Pfeffer würzen. Zum Schluss Crème fraîche oder Sauerrahm einrühren und servieren.

Der Brennnesselspinat passt zu Reis oder Kartoffeln oder als Belag auf die Pizza.

Passt zu Reis oder Kartoffeln oder als Belag auf Pizza.

Brennnessel Spinat
Brennnessel-Spinat ist im Vergleich zum echten Blattspinat ist er sehr verträglich, da er keine Oxalsäure enthält. Quelle: Rudi Beiser, Friesenheim

Und zum Schluss….

Die Brennnessel ist der Superstar unter den heimischen Wildpflanzen. Du kannst sie als Heilpflanze anwenden und auch als Gemüse genießen. Sie enthält so viele Vitalstoffe, dass man sie als Superfood bezeichnen kann. Zudem ist sie wertvoll für Insekten, kann im Garten als Dünger und Spritzmittel verwendet werden und eignet sich sogar zur Herstellung von Textilien.

Literatur

[1] Taheri Y, Quispe C, Herrera-Bravo J et al. Urtica dioica-Derived Phytochemicals for Pharmacological and Therapeutic Applications. Evid Based Complement Alternat Med 2022; 2022: 4024331. DOI: 10.1155/2022/4024331

[2] Bhusal KK, Magar SK, Thapa R et al. Nutritional and pharmacological importance of stinging nettle (Urtica dioica L.): A review. Heliyon. 2022; 8: e09717. DOI: 10.1016/j.heliyon.2022.e09717

[3] Beiser R. Wildkräuter. Stuttgart: Trias; 2017


Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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