Historisches

Hildegard von Bingen (1098–1179): Physica

1. März 2024
Historische Bücher

Papyrus Ebers, Lorscher Arzneibuch, New Kreuterbuch? Bekannt! Hippokrates von Kos, Dioskurides, Walahfrid Strabo? Natürlich auch! Was aber wissen Sie über diese Werke oder ihre Verfasser denn tatsächlich? Kurze und übersichtliche Zusammenfassungen lesen Sie hier. Immer freitags! Denn wir haben da mal was zusammengestellt …

Iris Eisenmann-Tappe

Lesezeit: 2 Minuten

Hildegard wurde in Bermersheim in der Nähe von Worms als zehntes Kind in eine adelige und wohlhabende Familie geboren. Der Tradition folgend, dass das zehnte Kind der Kirche geweiht wurde, gaben ihre Eltern die Achtjährige als Oblatin in die Obhut des Benediktinerklosters Disibodenberg an der Nahe. Mit 16 Jahren nahm sie dort den Schleier. Die Klause am Disibodenberg, in der sie in den ersten Jahren ihre Ausbildung erhielt, entwickelte sich mit der Zeit zu einem Nonnenkloster; 1136 wurde Hildegard dort zur Oberin gewählt. Nach eigenen Angaben hatte Hildegard schon als Kind Visionen gehabt, aber erst mit 43 Jahren wagte sie, diese Eingebungen niederzuschreiben. In der Zeit von 1141 bis 1151 entstand ihr Werk Liber Sci Vias Domini (Wisse die Wege des Herrn), das veröffentlicht werden konnte, nachdem Papst Eugen III. auf der Synode in Trier 1147 die Erlaubnis dazu gegeben hatte. 1150 konnte Hildegard, gegen den Widerstand der Mönche vom Disibodenberg, ihr eigenes Kloster am Rupertsberg nahe der Stadt Bingen gründen. Für die dortige Liturgie schuf sie ihr eigenes musikalisches Werk, indem sie über siebzig Lieder und Hymnen komponierte. Nach eigener Aussage verfasste sie zudem zwischen 1150 und 1160 ein Werk zur Natur- und Heilkunde, hier handelt es sich wohl um die später so genannte Physica. Ein weiteres Werk, die Causae et curae (Ursachen und Behandlungen), ist uns nur in einer Handschrift überliefert, die etwa 100 Jahre nach ihrem Tod geschrieben wurde. Wahrscheinlich bildeten Physica und Causae et curae ursprünglich ein Werk, das Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum, das im 13. Jahrhundert geteilt und überarbeitet wurde. In der Einleitung zur Physica wird deutlich, dass Hildegard mit ihrer großen Imaginationskraft und einer Mischung aus religiösen und moralischen Vorstellungen ihre ganz eigene naturkundliche Weltsicht entwickelte:

„Und die Erde gab ihre Grünkraft entsprechend Art und Veranlagung und Charakter und jeglichem Umgang des Menschen. Die Erde offenbart nämlich mit den nützlichen Pflanzen, indem sie diese unterscheidet, den Umgang des geistigen Wesens des Menschen, aber an den unnützen Pflanzen zeigt sie seine negativen und teuflischen Züge.“

Hildegard von Bingen: Physica

Parallel zu dieser heilkundlichen Arbeit schrieb Hildegard, von 1158 bis 1163, an ihrem (nach Sci Vias) zweiten Hauptwerk, dem Liber vitae meritorum (Buch der Lebensverdienste). Im Jahr 1165 gründete sie in einem aufgegebenen Augustinerkloster in Eibingen ihr zweites Nonnenkloster, in das – im Gegensatz zum Rupertsberg – auch nichtadelige Novizinnen aufgenommen wurden. Hildegard reagierte damit wohl auch auf diesbezügliche Kritik. Als Prophetin, Visionärin und Ratgeberin in Glaubensfragen erfuhr Hildegard hohe Anerkennung. Sie korrespondierte selbstbewusst mit Kaiser Friedrich Barbarossa, vier Päpsten und anderen wichtigen kirchlichen und weltlichen Autoritäten ihrer Zeit; über 300 ihrer Briefe sind erhalten geblieben. Sie verließ, trotz ihres zeitlebens fragilen Gesundheitszustands, ihre Klöster für Predigtreisen in verschiedene Städte. Damit setzte sie sich über die Regula Benedicti hinweg, die auch für die Äbte ein zurückgezogenes Leben hinter Klostermauern vorsah. Trotz ihrer vielen Aktivitäten und ihres kirchenpolitischen Engagements fand sie noch Zeit für ihr drittes großes Werk, das in den Jahren 1163 bis 1173 entstandene Liber divinorum operum (Buch der göttlichen Werke).

Hildegard von Bingen starb hochbetagt am 17. September 1179 in ihrem Kloster Rupertsberg. Zu Lebzeiten wurde sie bereits wie eine Heilige verehrt. Ein 1228 begonnenes Verfahren zur Heiligsprechung endete allerdings ergebnislos. Das Kloster Rupertsberg wurde 1632 im Dreißigjährigen Krieg durch die Schweden zerstört; die Nonnen fanden Zuflucht im Kloster Eibingen. Dieses wurde 1803 säkularisiert, und aus der Klosterkirche wurde die Pfarrkirche von Eibingen. Die Abtei St. Hildegard wurde oberhalb von Eibingen 1904 neu gegründet.

Papst Benedikt XVI. nahm Hildegard von Bingen offiziell in den Heiligenkalender auf und erhob sie im Jahr 2012 zur Kirchenlehrerin. Ihr Reliquienschrein befindet sich heute in der Pfarrkirche von Eibingen.

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Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

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Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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