Pflanzenheilkunde

Was wir aus der Pflanzenheilkunde in Pestzeiten lernen könnten

28. Februar 2023
Wacholder, Pflanzenheilkunde in Pestzeiten

Die letzten Jahre haben gezeigt: Pandemisch auftretende Infektionskrankheiten wie Covid-19 stellen eine immense gesundheitliche und soziale Herausforderung dar. Als die größte Pandemie der Menschheitsgeschichte gilt der „Schwarze Tod“, die Pest im Mittelalter. Die Pflanzenheilkunde spielte eine wichtige Rolle – vielleicht eine Lektion für uns heute?

Sebastian Vigl

Lesezeit: 5 Minuten

Die Pest hat einiges von ihrem Schrecken eingebüßt

Madagaskar im Jahre 2017: Ein alter Bekannter besucht den Inselstaat vor der afrikanischen Südostküste. Seit mindestens 5000 Jahren kommt es auf diesem Planeten immer zu Begegnungen zwischen ihm und dem Menschen. Gemeint ist das Bakterium Yersinia pestis. Eigentlich lebt es in kleinen Säugetieren und Flöhen, bisweilen springt es auf den Menschen über und verursacht die Lungen- und Beulenpest. Diese hochgradig ansteckende Infektionskrankheit führte in der Menschheitsgeschichte zu tiefgreifenden Veränderungen und Massensterben.

Heute hat die Pest fast ihren ganzen Schrecken eingebüßt. Sie tritt zwar immer noch regional auf, kann aber schnell eingegrenzt werden. Entscheidend ist die frühe Behandlung mit Antibiotika. In Madagaskar hat das 2017 leider nicht so schnell funktioniert. Rund 10 %der anfänglich 1000 Infizierten sind an der Infektion verstorben.

Heilpflanzenkunde zu Pestzeiten

Im Mittelalter hat die Pest sehr viele Opfer gefordert, allein zwischen 1346 und 1353 starben an ihr geschätzt 25 Millionen Menschen – ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung. Wir können uns schwer ausmalen, welche traumatischen Zustände damals herrschten. Soziale System brachen zusammen, Menschen hungerten und vereinsamten aus Angst sich anzustecken.

Vollkommen hilflos waren die Menschen im 14. Jahrhunderts nach Christus aber nicht. Dass die Krankheit durch direkten Kontakt mit Infizierten übertragen wird, war vielen Menschen bewusst. Dies führte zum Einführen der ersten Quarantäneregeln und zum Tragen der Pestmasken.

Wenn wir in historische Kräuterbücher blicken, finden wir einige Pflanzen als Pestpflanzen aufgeführt. Diese wurden von allen Gesellschaftsschichten eingesetzt, als Nahrungsmittel, bei Ritualen und als innerlich oder äußerlich angewandtes Heilmittel. [1]

In den Pestmasken fand sich meist ein mit Essig getränktes Stück Stoff mit pulverisierten Kräutern. Krankenzimmer und die Häuser der Toten wurden ausgeräuchert und die Leichen wurden mit Heilpflanzen wie dem Gamander (Teucrium scordium) gewaschen. Um sich vor Ansteckung zu schützen, kauten viele Menschen aromatische Wurzeln wie zum Beispiel die Engelwurz (Angelica archangelica) oder die Bibernelle (Pimpinella saxifraga).

Mit stinkenden Wurzeln gegen die stinkende Pest

Heute kennen wir den bakteriellen Erreger der Pest und die Wirkprinzipien unserer Heilpflanzen. Wir könnten daher konkret nach antibakteriellen Heilpflanzen suchen. Dieses Wissen hatten die Menschen des Mittelalters nicht. Sie behalfen sich zum Beispiel mit der Signaturenlehre und suchten nach „stinkenden Wurzeln gegen die stinkende Pest“, was unter anderem zur Verwendung des Baldrians (Valeriana officinalis) während der Pest geführt haben dürfte. Geruchsstarke Pflanzen wie Knoblauch (Allium sativum)Schafgarbe (Achillea millefolium) oder Wacholder (Juniperus communis) erfreuten sich generell großer Beliebtheit. Ihr Geruch sollte die bösen Krankheitsgeister fernhalten oder vertreiben. Heute wissen wir: Falsch gedacht war das nicht. Die für den Geruch verantwortlichen ätherischen Öle der Pflanzen weisen tatsächlich antibakterielle Wirkungen auf. [2] Außerdem kamen diese Pflanzen für die Menschen damals in Frage, da sie bei ähnlichen Erkrankungen, zum Beispiel fieberhaftigen Infekten, angewandt wurden.

Nicht selten sollen Legenden zufolge zudem Tiere, Engel oder Waldwesen den Menschen zu Pflanzen geraten haben, sehr oft zu Bibernelle und Wacholder, daneben auch zu Ehrenpreis (Veronica officinalis) oder – wie bis heute in ihrem Namen ersichtlich – zur Pestwurz (Petasites officinalis). 

Neben diesen Versuchen, die Krankheit ursächlich zu heilen, gab es einen regen Einsatz von Heilpflanzen gegen einzelne Beschwerden der Krankheit – so zum Beispiel gegen Fieber, Husten oder Kopfschmerzen. Hierbei bediente man sich am bereits bekannten Heilpflanzenschatz und verwendete zum Beispiel die giftige Tollkirsche (Atropa belladonna) gegen Fieber und Schmerzen. [3]

Was können wir daraus lernen? Ein Blick nach China

Wie sehr die erwähnten Heilpflanzen gegen den Pesterreger halfen, können wir heute nicht nachvollziehen. Um die Wirkung genau beurteilen zu können, bräuchten wir belastbare Studiendaten aus dieser Zeit. Dafür fehlten den damaligen Menschen unsere heutigen Kenntnisse der Erkrankung, der Wirkweise von Heilpflanzen und der Durchführung klinischer Studien.

Heute könnten wir dies besser machen. Und teilweise haben wir das auch gemacht: Bereits im März 2020 – wenige Monate nach den ersten Covid-19-Infektionen – wurden Kliniken und Ärzt*innen in China von der Politik gebeten, die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) bei der Behandlung von Infizierten miteinzubeziehen und Erfahrungen zu dokumentieren. [4] Bei der Wahl geeigneter Heilpflanzen ging man ganz ähnlich vor wie die Heilkundigen der Pestzeiten: Man testete Pflanzen, deren Wirkungen man bei ähnlichen Erkrankungen bereits kannte.

Parallel dazu wurden gleich zu Beginn viele klinischen Studien gefördert, die die Wirksamkeit von TCM bei der Behandlung von Covid-19-Infektionen untersuchten. Die Phytotherapie ist in den meisten dieser klinischen Studien vertreten, da sie neben Akupunktur und Ernährungsratschlägen ein wichtiger Bestandteil der TCM ist.

Die TCM wird auch als Therapieoption von Long-Covid in vielen Publikationen diskutiert. [5] Trotz zahlreicher klinischer Studien gilt es bis heute als strittig, ob TCM und im speziellen die chinesische Phytotherapie eine sichere und wirkungsvolle Ergänzung zur schulmedizinischen Therapie von Covid-19 darstellt. [6]

Wichtig zu wissen: Auch wenn einzelne chinesische Publikationen vielversprechend klingen mögen: Diagnose und Therapie von Covid-19 gehört weiterhin in die Hände der Schulmedizin! Wenn Du an Covid-19 erkrankt bist – oder der Verdacht auf eine Infektion besteht –, begib Dich bitte in Deine hausärztliche Praxis. Sprich Dich mit Deiner Ärztin oder Deinem Arzt ab, falls Du während oder unmittelbar nach der Covid-19-Erkrankung Heilpflanzen oder Phytotherapeutika einnehmen willst.

Die Bemühungen Chinas für die Integrierung traditionellen Heilpflanzenwissens stellt vergleichbare westliche Bemühungen in den Schatten. Und zwar deutlich. Es gibt zwar auch bei uns vereinzelt Grundlagenforschung, was die Wirkung von Heilpflanzen beim Schweren-akuten-Atemwegssyndrom-Coronavirus Typ 2 (SARS-CoV-2) betrifft. Doch aussagekräftige klinische Studien dürften bei dem momentanen Tempo erst lange nach dem Abklingen der Pandemie – wenn überhaupt – vorliegen.

Und zum Schluss

Wir leben nicht allein auf diesem Planeten. Immer wieder wird unsere Spezies mit Viren, Pilzen oder Bakterien konfrontiert sein, gegen die unser heutiges Medikamentenarsenal nicht ausreicht. Auch zu Pestzeiten war man zunächst hilflos. Dann verglich man unter anderem die Dynamik der Erkrankung mit bereits bekannten Erkrankungen. Dieser Vergleich führte zum Einsatz zahlreicher Heilpflanzen.

Heute und bei zukünftigen Pandemien könnten wir ähnlich vorgehen und dafür die Mittel der modernen Wissenschaft und Arzneimittelforschung nutzen. China beschritt diesen Weg seit Beginn der Covid-19-Pandemie und beforscht intensiv die Möglichkeiten der TCM und ihrer Heilpflanzen. Ob diese Forschung zielführend ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Es wäre dennoch wünschenswert, wenn wir hierzulande ähnliche Bemühungen erleben.

Literatur

[1] Müller KM. Pestpflanzen; Heilkräuter wider den schwarzen Tod. Freiburg: Lavori; 2005

[2] Beer AM. Phytotherapie zu Zeiten der Pest. Zeitschrift für Phytotherapie 2020; 41: 63-66. DOI: 10.1055/a-1102-1718

[3] Wulfers E. Heilpflanzen als Mittel gegen die Pest im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Schweiz Z Ganzheitsmed 2014; 26: 34-44. DOI: 10.1159/000358109

[4] Wiebrecht A, Zhao-Seiler N. Chinesische TCM-Behandlungsempfehlungen zu Covid-19. Zeitschrift für Komplementärmedizin 2020; 12: 12-15. DOI: 10.1055/a-1190-0125

[5] Thede C. Therapie von Long-Covid-Syndromen mit chinesischer Arzneimitteltherapie im Erwachsenen‑, Kindes- und Jugendalter [Chinese herbal medicine in the therapy of post-covid syndromes in adults, children and adolescents]. Chinese Medicine. 2021; 36: 113–25. DOI: 10.1007/s00052-021-00023-3

[6] Lei Y, Guan H, Xin W et al. A Meta-Analysis of 13 Randomized Trials on Traditional Chinese Medicine as Adjunctive Therapy for COVID-19: Novel Insights into Lianhua Qingwen. Biomed Res Int. 2022; 2022: 4133610. DOI: 10.1155/2022/4133610


Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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