Pflanzenheilkunde

Melisse – nicht nur Heil-, sondern auch Genussmittel

15. Juni 2022
Melisse Nahaufnahme

Die Melisse ist eines der bekanntesten Kräuter. Ihre Schönheit offenbart sich nicht in üppiger Blütenpracht, sondern in den duftenden, nesselähnlichen Blättern. Zwischen buntblühenden Stauden gepflanzt, ist sie ein wohltuender Ruhepunkt. Aber sie hat noch mehr zu bieten, sie ist eine wunderbare Heil- und Würzpflanze.

Rudi Beiser

Lesezeit: 4 Minuten

Melisse lieben Mönche und Bienen

Die Melisse (Melissa officinalis) stammt ursprünglich aus dem Vorderen Orient, wurde aber schon vor über 2000 Jahren im ganzen Mittelmeerraum angebaut. Oft wird sie auch Zitronenmelisse genannt, weil sich beim Zerreiben der frischen Blätter ein zarter, zitronenartiger Duft verbreitet. Mit den Benediktinermönchen kam sie schließlich über die Alpen und wurde in den Klostergärten kultiviert. Pflanzen, die im Reisegepäck der Mönche aus Italien zu uns kamen, sind gut erkennbar an ihrem eingedeutschten lateinischen Namen – aus Melissa wurde Melisse. Die Melisse war aufgrund ihres feinen Aromas und ihrer Heilwirkung ein wichtiger Grundstoff für eine Vielzahl klösterlicher Liköre und Heilmittel. Dazu gehörten zum Beispiel Karmelitergeist, Chartreuse und Bénédictine.

Der Name Melisse kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Honigbiene“. Die Melisse hat in der Tat eine besondere Beziehung zur Bienenwelt. Zum einen sind die unscheinbaren weißlichen Lippenblüten eine gute Trachtquelle für Wild- und Honigbienen. Zum anderen glaubten die alten Römer, dass man mit dem Saft aus den Blättern der Melisse eine Königin aus dem Bienenschwarm locken könne. Imker verrieben an den Bienenkörben Melissenblätter, um die Bienen am Stock zu halten. Heute weiß man, woher die Liebe der Bienen zur Melisse stammt: Die Bienen markieren ergiebige Futterquellen mit einem Drüsensekret, das ähnlich wie die Melisse duftet.

Bei Bienenstichen kann die Melisse Erste Hilfe leisten: Der Saft der zerquetschten Blätter lindert den Schmerz.

Im Mittelalter: Gut für Herz, Frauen und Gehirn

Schon Hildegard von Bingen (1098 – 1179) schrieb über die Melisse, dass sie durch ihre Wärme den Menschen zum Lachen bringe und sein Herz erfreue. Auch der Arzt Paracelsus (1493 – 1541) bezeichnete sie als „die beste Pflanze für das Herz“. In der mittelalterlichen Heilkunde war die Melisse jedoch nicht nur als „Herztrost“ bekannt, sondern zudem ein weitverbreitetes Frauenmittel, was sich in den Namen „Mutterkraut“ und „Frauenwohl“ niederschlug. Melissentee sollte demnach die Menstruation fördern, die Gebärmutter reinigen und die Empfängnis vorbereiten. Der englische Schriftsteller John Evelyn beschrieb die Melisse im 17. Jahrhundert als „unübertroffen für das Gehirn, das Gedächtnis stärkend und die Schwermut mit Macht vertreibend“. Damit charakterisierte er treffend neue wissenschaftliche Untersuchungen, die bestätigen, dass Melisse die Gehirnleistung und Lernfähigkeit verbessert: In Laborversuchen konnte mit der Melisse die Aktivität des Neurotransmitters Acetylcholin verstärkt werden. [1, 2] Im zentralen Nervensystem hat dieser Botenstoff diverse Aufgaben: Unter anderem fördert er unsere Aufmerksamkeit und das Bilden von Erinnerungen.

Nahaufnahme blühende Melisse
Die weißlichen Lippenblüten der Melisse werden in Tees verwendet. Will man mit Melissenblättern zum Beispiel Salate würzen, sollte man eher junge Blätter vor der Blüte verwenden. Quelle: Rudi Beiser/Thieme

Melisse für starke Nerven und besseren Schlaf

Nicht nur in der traditionellen Pflanzenheilkunde, sondern auch in der heutigen medizinischen Anwendung gemäß Kommissionen E, HMPC und ESCOP ist die Melisse vor allem als mildes Beruhigungsmittel bekannt, das bei nervös bedingten Einschlafstörungen und bei Stresssymptomen hilfreich sein kann. Dabei sind vor allem die enthaltenen ätherischen Öle wirkungsbestimmend. Außerdem kann sie bei der Behandlung von krampfartigen Magen- und Darmbeschwerden Linderung bringen. Aufgrund ihrer antiviral wirksamen Rosmarinsäure kann sie äußerlich auch bei Lippenherpes angewendet werden. [3]

Das folgende Teerezept von mir enthält eine wohltuende Kombination aus beruhigenden Pflanzen, die tagsüber für „starke Nerven“ sorgen und Dir abends ein entspanntes Einschlafen ermöglichen könnte.

Schlaf- und Nerventee

Zutaten

  • 40 g Melissenblätter (Melissae foliae)
  • 20 g Baldrianwurzel (Valerianae radix)
  • 20 g Passionsblumenkraut (Passiflorae herba)
  • 10 g Lavendelblüten (Lavandula flos)

Zubereitung/Dosierung/Anwendung

2 TL der Mischung mit 200 ml heißem Wasser übergießen und zugedeckt 10 Minuten ziehen lassen. Den Tee kurmäßig über 4 Wochen trinken. Bei Nervosität und Unruhe am Tag 2-3 Tassen, bei Schlafstörungen 1 Tasse am Abend trinken.

Achtung: Wenn Nervosität und Schlafstörungen längere Zeit anhalten und/oder weitere Symptome wie beispielsweise Angst, Niedergeschlagenheit oder depressive Verstimmung hinzukommen, solltest Du unbedingt einen Arzt aufsuchen!

Auch gut für den Genuss

Generell ist die Melisse eher als Tee- und Heilkraut bekannt und nicht als Gewürz. Sie kann mit ihrem zarten, frischen Zitronenschalenaroma aber eine Vielzahl von Gerichten verfeinern. Das Aroma sitzt vor allem in den jungen Blättern, ältere Blätter schmecken etwas bitter. Am besten kommt das Aroma zur Geltung, wenn Du frische Melissenblätter verwendest, und zwar vor Beginn der Blüte. Mit den Blättern kannst Du zum Beispiel Salate, Kräuterbutter, Kräuterquark, Pesto, Soßen, Suppen, Eiergerichte oder auch Fisch und Geflügel würzen.

Aber aufpassen: Die Blätter aber nicht oder nur kurz mitkochen, sonst verlieren sie ihr Aroma!

Sehr gut passt das Zitronige der Melisse auch in Obstsalate, Desserts, Konfitüren, Gelees und Kompott. Du kannst damit aber auch Weißwein, Apfelsaft, Milch, Sirup oder Essig aromatisieren! Jetzt im Sommer lohnt es sich auch, eine erfrischende Melissen-Limonade herzustellen!

Erfrischende Melissen-Limonade

Zutaten

  • 6–8 Stängel frische Melisse (vor der Blüte!)
  • 1 Liter Apfelsaft
  • Saft einer halben Zitrone
  • 0,7 Liter Mineralwasser mit Kohlensäure

Zubereitung

Blätter von den Stängeln der Melisse abstreifen, in eine große Kanne geben und mit Apfelsaft übergießen. Drei Stunden im Kühlschrank ziehen lassen, abseihen und Zitronensaft hinzugeben. Mit gekühltem Mineralwasser aufgießen und servieren. Kinder lieben dieses Getränk!

Und zum Schluss …

Die moderne Heilpflanzenkunde nutzt die beruhigende und krampflösende Melisse vor allem bei Einschlafstörungen und Verdauungsbeschwerden. Ihre Inhaltsstoffe können zudem konzentrationsfördernd und gedächtnisstützend wirken.

Literatur

[1] Kennedy DO, Wake G, Savelev S, et. al. Modulation of Mood and Cognitive Performance Following Acute Administration of Single Doses of Melissa Officinalis (Lemon Balm) with Human CNS Nicotinic and Muscarinic Receptor-Binding Properties. Neuropsychopharmacol 200; 28: 1871–1881

[2] Kennedy DO, Wightman EL. Herbal Extracts and Phytochemicals: Plant Secondary Metabolites and the Enhancement of Human Brain Function. Advances in Nutrition 2011; Volume 2, Issue 1: 32–50,doi.org/10.3945/an.110.000117

[3] Shakeri A, Sahebkar A, Javadi B. Melissa officinalis L. – A review of its traditional uses, phytochemistry and pharmacology. J Ethnopharmacol 2016;188: 204-28. doi: 10.1016

Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

Teilen

Das könnte Dir auch gefallen