Historisches

Dioskurides (1. Jh. n. Chr.): Materia medica

24. November 2023
Historische Bücher

Papyrus Ebers, Lorscher Arzneibuch, New Kreuterbuch? Bekannt! Hippokrates von Kos, Dioskurides, Walahfrid Strabo? Natürlich auch!Was aber wissen Sie über diese Werke oder ihre Verfasser denn tatsächlich? Kurze und übersichtliche Zusammenfassungen lesen Sie hier. Immer freitags! Denn wir haben da mal was zusammengestellt …

Iris Eisenmann-Tappe

Lesezeit: 3 Minuten

Pedanios Dioskurides, dessen Lebensdaten nicht bekannt sind, stammte aus Anazarbos in Kikilien in der heutigen Türkei. Er war wohl Militärarzt unter den römischen Kaisern Claudius (41–54 n.Chr.) und Nero (54–68 n. Chr). In dieser Eigenschaft bereiste er weite Teile des Römischen Imperiums und verfasste auf der Grundlage seiner medizinischen Erfahrungen zwischen 60 und 78 n. Chr. sein 5-bändiges Werk De materia medica. In dieser Arzneimittellehre werden, in griechischer Sprache, über 400 Arzneipflanzen „nach Gestalt und Heilwirkung“ beschrieben, sowie jeweils etwa 100 mineralische und tierische Mittel. Das erste Buch behandelt u.a. die Öle und Salben sowie die Bäume, das zweite die Tiere, Milch, Honig und Fette sowie Getreide, Gemüse und Gartenkräuter. Das dritte und vierte gehen auf die weiteren Kräuter und die Wurzeln ein; im fünften werden neben den Weinsorten und den übrigen Getränken die Mineralien vorgestellt. Einige Gruppen sind nach ihrer Wirkung zusammengestellt, wie diuretisch, abführend, aphrodisierend, oder nach Verwandtschaften. Für den schnelleren Zugriff wurde die Materia medica in eine alphabetische Reihenfolge gebracht und mit Abbildungen versehen. Zu dieser Art gehört der berühmte Wiener Dioskurides.

Das Werk galt als so vollkommen und unübertreffbar, dass es über Jahrhunderte hinweg als Standardwerk zitiert wurde. Sogar Galen, der gerne Vorgänger und Zeitgenossen kritisierte, verzichtete unter Verweis auf Dioskurides auf eigene Pflanzenbeschreibungen, und der „Dioskurides“ erfuhr bis in die Renaissance und frühe Neuzeit hinein höchste Wertschätzung als Grundlage und Vorbild für alle neu verfassten Herbarien und Arzneibücher.

Die älteste überlieferte Handschrift der Materia medica liegt uns im Wiener Dioskurides vor, so benannt, weil er sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet (Cod.med.gr.1, ÖNB). Er ist ein mit beeindruckenden Pflanzenporträts illustrierter Codex, der seit 1997 zum UNESCO Weltdokumentenerbe gehört. Seine Entstehung lässt sich auf das Jahr 512 n. Chr. datieren, denn das kostbare Buch war eine Schenkung der Bürger Konstantinopels an Anicia Juliana, eine vornehme Römerin von kaiserlicher Abstammung. Sie erhielt es als Dank für die Stiftung einer Kirche.

Der Wiener Dioskurides

Der  Wiener Dioskurides  ist ein Sammelband, in dem das Dioskurides-Herbarium den größten Raum einnimmt. Es lässt sich erschließen, dass bei der Herstellung der Abschrift und der Illustrationen auf spätantike Vorlagen aus dem 3. oder 4. Jh. n. Chr. zurückgegriffen wurde, die uns verloren gegangen sind. Es ist unbekannt, ob Dioskurides selbst seinem Werk schon Illustrationen beigegeben hatte.

Der Kodex selbst erlebte eine wechselhafte Geschichte, bedingt durch die wiederholten Eroberungen Konstantinopels. Es entstanden lateinische, arabische, persische und türkische Umschriften des ursprünglich in Griechisch verfassten Werkes. Über Spanien und Italien gelangte der Text der Materia medica wieder in den Westen, wurde 1478 aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt und 1499 erstmals wieder in griechischer Sprache herausgegeben. Die Tatsache, dass dem westeuropäischen Mittelalter keine vollständige lateinische Übersetzung zur Verfügung gestanden hat, erklärt wohl, dass während dieser Zeit anderen Quellenwerken der Vorzug gegeben wurde. Nachdem der Dioskurides durch die Neuübersetzung wieder zugänglich war, diente er in der Renaissance den „Herbaristen“ als wesentliche Quelle, so z.B. Otto Brunfels (1488–1534), Hieronymus Bock (1489–1554), Leonard Fuchs (1501–1566), Adam Lonitzer (1528–1586) und Jakob Theodor Tabernaemontanus (gest. 1590). In diesem Sinne könnte man den (illustrierten) Dioskurides den „Vater der Kräuterbücher“ nennen.

Als „Väter der Botanik“ wiederum werden vor allem Brunfels, Bock und Fuchs bezeichnet. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Drucken wurde es möglich, sowohl verschiedene Werke untereinander als auch altes und neues Heilpflanzenwissen miteinander zu vergleichen. Dadurch fielen Widersprüchlichkeiten und Irrtümer bei der Benennung von Heilpflanzen auf, und es wurde unumgänglich, nach Ordnungs- und Identifikationsmöglichkeiten für die Pflanzen zu suchen: Dies war die Wiege der Botanik als eigenständige Wissenschaft.

Der Dioskurides-Titel Materia medica (lat. heilende Substanzen) wurde zur historischen Bezeichnung für Sammelwerke zum Thema Arzneimittel und darüber hinaus zum Synonym für die Arzneimittellehre an sich. Erst seit dem 20.Jh. wurde dafür zunehmend der Begriff „Pharmakologie“ verwendet. In der Homöopathie blieb der Begriff Materia medica erhalten, er wird weiterhin zur Bezeichnung der homöopathischen Arzneimittellehre benutzt.

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Mehr über historische medizinische Schriften, deren Verfasser und die Anwendung der Heilpflanzenkunde in der Klostermedizin lesen Sie in: Klostermedizin bei Erkrankungen des Verdauungstrakts | 9783132416437 | Thieme Webshop

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Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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