Wenn der Sommer endet und es Herbst wird, wächst an unseren Wegrändern eine besondere, doch wenig beachtete Heilpflanze. Der Beifuß (Artemisia vulgaris) ist manchen als Räucherpflanze bekannt, den meisten wohl als Gewürz zum fetten Gänsebraten. Ein paar weitere schmackhafte Verwendungen will ich hier vorstellen.
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Beifuß – eine herbe Familie
Artemisia vulgaris – der gewöhnliche Beifuß – gehört zur Gattung Artemisia in der Familie der Korbblütler. Er ist teilweise auch unter den Namen Jungfernkraut, Weibergürtelkraut oder auch Wurmkraut bekannt. Als wildwachsende Pflanze ist er in Europa, Asien und Nordamerika weit verbreitet. Gerne wächst er auf Brachflächen, an Bachufern oder Bahndämmen. Sein aufrechter Stängel kann bis zu 2 Metern hoch werden. Er ist dick, von rotvioletter Farbe, deutlich längsgerillt und markhaltig. Die Oberseite der fiederteiligen bis lanzettlichen Blätter ist von grüner Farbe und unbehaart, die Unterseite weiß, filzig und behaart. Die Blütenköpfchen sind rötlich und in endständigen Rispen angeordnet. Andere und mindestens genauso bekannte Gattungs-Geschwister sind etwa der Wermut (Artemisia absinthium), der wegen seines sehr bitteren Geschmacks und seiner langjährigen Tradition als Bestandteil einer berauschenden Spirituose (Absinth) bekannt bis berüchtigt ist. Estragon (Artemisia dracunculus) ist vor allem wegen seiner Verwendung als Küchengewürz bekannt. In den letzten Jahren hat zudem der einjährige Beifuß (Artemisia annua) wegen seiner Wirkungen gegen Malaria und virale Atemwegserkrankungen von sich reden gemacht [1].
Das medizinische Potential des Beifußes
In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wird der Beifuß auch heute noch eingesetzt, neben anderen Artemisia-Arten unter anderem als Räucherpflanze in der sogenannten Moxa-Therapie. Dabei wird aus dem Kraut des Beifußes eine sogenannte Moxa-Zigarre gerollt oder ein Kegel geformt. Zigarre bzw. Kegel werden angezündet und über die Glut Akupunkturpunkten Wärme zugeführt. Die Glut der Moxa-Zigarre wird dazu über die Hautoberfläche an den Akupunkturpunkt geführt bzw. der Moxa-Kegel direkt auf der Haut platziert. Dieser Wärmeimpuls soll – ähnlich wie durch Akupunktur oder Akupressur – eine Harmonisierung der Energiebahnen (Meridiane) oder Einwirkung auf verschiedene Organsysteme ermöglichen.
In der westlichen Heilkunde verlor die im Altertum und noch bis ins Mittelalter hinein weit verbreitete Heilpflanze in der Neuzeit deutlich an Bedeutung. Als Traditionelle Anwendungsgebiete in der Volksheilkunde sind vor allem die kräftigende und durchwärmende Wirkung sowie der Einsatz gegen Würmer bekannt. Zugeschrieben wurden dem Beifuß zudem die folgenden Wirkungen:
- appetit- und verdauungsfördernd
- tonisierend (= kräftigend)
- cholagog (= Galle anregend)
- antibakteriell
- fungizid (= pilzwidrig)
- erwärmend
- schweißtreibend
- menstruationsfördernd
- geburtseinleitend [2,3]
Allgemein anerkannt sind vor allem seine Wirkung gegen Appetitlosigkeit und Verdauungsbeschwerden.
Eine Untersuchung der Kommission E resultierte aufgrund eines offenbar ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses in einer Negativ-Monografie. Dies könnte weitgehend auf die Inhaltsstoffe, speziell den Gehalt an Thujon, zurückzuführen sein. Ansonsten enthalten sind Sesquiterpenlactone, ätherische Öle wie z.B. Kampfer (neben Thujon), Flavonoide, Cumarine, Triterpene und Carotinoide [2].
Vorsicht: Von der Anwendung des Beifußes in der Schwangerschaft wird aufgrund des Thujon-Gehaltes und dessen durchblutungsfördernder Wirkung im Bereich des gesamten Verdauungstraktes sowie im Genitalbereichs abgeraten – eine geburtseinleitende Wirkung ist möglich. Nicht umsonst trägt die Pflanze den Beinamen „Schoßwurz“.
Auch bei Kindern unter 12 Jahren sowie bestehender Allergie gegen Korbblütler ist auf eine Anwendung zu verzichten!
Der Beifuß – ein Relikt aus alter Zeit …
Sein Bezug zur Frauenheilkunde zieht sich durch die gesamte Geschichte: Im antiken Griechenland war die namensgebende Artemis nicht nur die Göttin der Jagd, sondern eine Muttergottheit und Schutzherrin der Kräuterheilkundigen. Walahfrid Strabo, der Abt der Insel Reichenau, bezeichnete den Beifuß im 9. Jahrhundert als „Mutter aller Pflanzen“. Die Heilkundigen von Hippokrates bis zu Galenus rühmten den Beifuß als großes Frauenheilmittel. Bei den Germanen stand er zudem als magische Schutzpflanze hoch im Kurs [4].
Als Räucherpflanze soll der Beifuß die Seele in andere Sphären geleiten (lies dazu auch den Beitrag von Sebastian Vigl: https://heilpflanzen.thieme.de/2022/09/23/schamanenpflanze-beifuss-deine-traumwelt-bereichern-kann/.)
Kulinarische Kostbarkeiten des Beifußes
Die meisten unter uns kennen die klassische Anwendung der Beifußästchen. Als Gewürz ist der getrocknete Beifuß im Winter eine bekannte Zutat bei fetten Speisen, beispielsweise Gänsebraten. Durch seine Bitterstoffe bringt er der Fettverdauung in die Gänge. Köstlich mundet er auch zu Kartoffel- oder Bohnensuppen, Kohlgerichten, kräftigen Saucen sowie natürlich Fleisch, Fisch, Geflügel und Pilzen [4].
Doch es gibt noch weitere Leckereien, die Du aus Beifuß zaubern kannst
Beifuß-Essig
Nachdem ich die letzten Jahre mit vielen Essig-Auszügen experimentiert habe, bleibt unter den herb-aromatischen der Beifuß-Essig mein absoluter Liebling! Ich habe zwar auch den „großen Bruder“, den Wermut, in Form eines Essigs ausprobiert. Doch derart Bitteres muss selbst ich nicht in meinem Salat haben. Die bitter-aromatische Note des Beifuß-Essigs hat jedenfalls meinen Magen erobert!
Zutaten
- 2 Handvoll Triebspitzen und 1 Handvoll Wurzeln
- 750 ml Apfel- oder Branntweinessig
Zubereitung
Gib die Triebspitzen und die Wurzeln des Beifußes in eine Flasche oder ein Gefäß aus Glas und übergieße sie mit dem Apfel- oder Branntweinessig. Lass den Ansatz für 3-4 Wochen ziehen, dabei ab und zu schütteln. Anschließend den Essig durch ein Sieb abgießen und in einer dunklen Flasche aufbewahren. Meiner Erfahrung nach sind Kräuteressige oft 1 Jahr oder länger haltbar.
Beifuß-Öl
Mit diesem Öl lassen sich hervorragend deftige Speisen wie Fleischgerichten aromatisieren.
Zutaten
- frischen, zerschnittenen Blättern, Blüten und Wurzeln des Beifußes
- kalt gepresstes Sonnenblumenöl
Zubereitung
Befülle ein Schraubglas zur Hälfte mit den Blättern, Blüten und Wurzeln des Beifußes und fülle das Glas anschließend mit Sonnenblumenöl auf. Stelle es für 2-3 Wochen in die Sonne, gelegentlich schütteln. Nach dieser Zeit das Öl durch ein Sieb abgießen. In einer dunklen Flasche gelagert, hält sich das Öl etwa 1 Jahr.
Als Öl zum Kochen ist es nun fertig.
Hinweis: Das Öl eignet sich auch zur Einreibung bei geschwollenen Füßen, Muskelkater und Verspannungen. Für die äußere Anwendung kannst Du noch 15 Tropfen ätherisches Kiefernadelöl (Oleum Pini silvestris) pro halben Liter Beifuß-Öl hinzugeben [4].
Beifuß-Salz
Ein Kräutersalz mit Beifuß ist eine weitere Möglichkeit, ihn in der Küche zu verwenden. Er eignet sich gut als Gewürzgrundlage und lässt sich je nach Geschmack mit Rosmarin, Thymian oder Salbei kombinieren.
Zutaten
- getrocknete Beifußspitzen (=Blüten und Blätter)
- Speisesalz
Zubereitung
Nimm 1 Teil getrocknete Beifußspitzen, z. B. 10 g, und gibt dazu 3 Teile Salz, z.B. 30 g in einen Mörser und zerkleinere alles so lange, bis keine oder nur noch kleine Pflanzenteile zu sehen sind.
Hinweis! Schwangere oder Kindern unter 6 Jahren sollten vorsichtshalber auf die Verwendung von Beifuß in jeglicher Form verzichten, auch als Gewürz!
Gesund und lecker!
Auch wenn im medizinischen Bereich vor allem die Vorsicht im Umgang mit dem Beifuß im Vordergrund steht: Als sorgfältig dosiertes Gewürz, als Öl oder Essig, kann er unsere Ernährung auf jeden Fall um eine wertvolle Nuance bereichern. So bleibt mir nur noch, euch ein herzliches „Wohl bekomm’s“ zu wünschen!
Literatur
[1] Blaschek W, Ebel S, Hackenthal E, Holzgrabe U, Keller K, Reichling J, Schulz V. Hrsg. Hagers Enzyklopädie der Arzneistoffe und Drogen. Stuttgart: WVG/Springer; 2014
[2] Bäumler S. Heilpflanzenpraxis heute – Arzneipflanzenportäts. München: Elsevier; 2021
[3] Bühring U. Lehrbuch Heilpflanzenkunde. Stuttgart: Haug; 2018
Wichtiger Hinweis!
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.