Er liegt mitten im Weg, wird oft mit Füßen getreten und erträgt alles mit stiller Ruhe und Widerstandskraft. Viele sehen ihn nur noch als zu bekämpfendes Unkraut, dabei war er früher ein teuer gehandeltes Wunderheilmittel. Zeit, sich mal näher mit dem Vogelknöterich zu beschäftigen!
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Botanik und Symbolik des Vogelknöterichs
Der Name „Polygonum“ kommt aus dem Griechischen und kann mit „viel(e) Knie“ übersetzt werden. Dies bezieht sich auf die zahlreichen Knoten an den Sprossen der Pflanze, die ihr auch den deutschen Namen „Vogelknöterich“ eingebracht haben. Der Beiname „aviculare“ vom Lateinischen „aviculus = Vögelchen“ verweist darauf, dass die Samen des Vogelknöterich gerne von Vögeln gefressen werden.
Als Vertreter der Knöterichgewächse (Polygonaceae) kommt der Vogelknöterich (Polygonum aviculare) weltweit in allen gemäßigten Zonen vor. Er findet sich als Bodendecker auf Äckern sowie an Wegen – und bevorzugt nährstoffreiche, eher trockene Böden. Seine langen verzweigten Triebe wachsen häufig liegend, können aber auch bis 40 cm hoch wachsen. Die wechselständigen elliptischen bis schmalen Blätter sind maximal 3 cm lang, in ihren Blattachseln finden sich zwischen Mai und Oktober unauffällige grüne bis rötliche Blüten – gefolgt von wenige Millimeter langen Nuss-Früchten [1].
Die im Englischen und Deutschen gebräuchlichen Namen beziehen sich weitgehend entweder auf die Knoten (wie in „knotweed“ oder „knotgras“) oder auf die ausgedehnten Bodentriebe (wie in „Dehngras“ oder „Reißkraut“). Den Namen „Wegsaukraut“ verdankt der Vogelknöterich seiner hartnäckigen, wuchernden Wuchsart, während die Volksnamen „door-weed“, „Hansl am Weg“ oder „Wegerich“ aus bevorzugten Standorten hervorgehen [2].
Der Vogelknöterich in der Volksheilkunde – Ein Hansdampf in allen Tassen
Grundsätzlich wurde der Vogelknöterich seit der Antike und im Mittelalter für eine wesentlich größere Breite an Beschwerden und Erkrankungen eingesetzt als heute. Plinius gab der Pflanze im 1. Jahrhundert nach Christus den Namen „Sanguinaria“ (= „Blutkraut“) aufgrund ihrer starken blutstillenden Wirkung. Der Theologe und Botaniker Hieronymus Bock (1498-1554) schreibt dazu „Wegdret in rotem wein gesotten und getrunken oder das gebraute wasser davon mit seinen gepulverten Samen eingenommen stillt alle Bauchflüsse, Kotzen, Blutspeien und übrige Weiber-Krankheit.“ [3]
Bei Kopfschmerzen war es üblich, sich eine „Krone“ aus zusammengedrehten Vogelknöterich-Trieben auf den Kopf zu setzen. In der chinesischen Medizin wird der Vogelknöterich zur Behandlung des Blasen-Funktionskreises eingesetzt: Mit seiner bitteren und leicht kühlenden Qualität soll er Beschwerden der Harnwege behandeln, die durch Hitze, Nässe oder Steine entstanden sind [1].
Ende des 19. Jahrhunderts wurde Vogelknöterich volksheilkundlich unter dem Namen „Homeriana-Tee“ als Geheimarznei gegen die damals grassierende Lungentuberkulose teuer verkauft. Ebenfalls für Tuberkulose und zur Lungenstärkung findet er sich in einer bekannten Teemischung dieser Zeit.
Wichtig: Bei gravierenden gesundheitlichen Problemen solltest Du vor der Einnahme des folgenden Rezepts einen Arzt oder Heilpraktiker konsultieren, um abzuklären, ob sich der Tee für Dich und Deine Situation eignet!
Historische Rezeptur: Kobert-Kühnscher-Kieseltee
Hb. Equiseti arvensis: 37,5 (= Ackerschachtelhalmkraut)
Hb. Polygoni avicularis: 75 (= Vogelknöterichkraut)
Hb. Galeopsidis ochroleucae: 25 (= Kraut vom Ockergelben Hohlzahn)
M.f. species. (Mische die gegebenen Heilpflanzen.)
Dreimal täglich 1,5 Esslöffel mit 2 Tassen Wasser ansetzen und auf die Hälfte einkochen [4]. Bei dieser Dosierung ist nicht mit Nebenwirkungen zu rechnen. Da es bei dieser Mischung um die Aufnahme der Kieselsäure (Silicea) geht, empfehle ich eine längere Einnahmedauer von 3-6 Monaten.
Die lungenstärkende Wirkung dieser kieselsäurehaltigen Mischung – gerne kombiniert mit klassischen Atemwegspflanzen wie Thymian, Spitzwegerich, Primel oder Zistrose würde sicher auch den heutigen Ansprüchen rationaler Phytotherapie genügen.
Neben dem Einsatz bei jeglichen Blutungen, zahlreichen Nierenleiden und diversen Atemwegserkrankungen wie Asthma, TBC oder Bronchitis fand der Vogelknöterich im Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hinein weite Anwendung in der Frauenheilkunde, bei verschiedenen Entzündungen und zur Wundheilung, Inkontinenz, mangelnder Libido, Geschwüren bis hin zu diversen Infektionskrankheiten [2].
Wirkungen und Indikationen im Rahmen aktueller Studien
Heutzutage wird der Vogelknöterich in der Pflanzenheilkunde eher selten als Heilpflanze verwendet – wenn doch, dann meistens aufgrund seines Kieselsäuregehaltes als Ergänzung bei Lungen-Erkrankungen. Außerdem ist sein Gehalt an antioxidativen, wundheilenden, entzündungshemmenden und adstringierenden (= zusammenziehenden) Wirkstoffen bekannter geworden [1]. Dem stehen inzwischen zahlreiche aktuelle Studien gegenüber, die folgende Wirkungs- und Anwendungsgebiete erforscht haben und zur Diskussion stellen:
- mögliche Unterstützung bei Blasenentzündungen und Steinleiden und Erholung bei bestehenden Nierenschäden: Bei Tierversuchen an Ratten konnte wässriger Vogelknöterich-Extrakt Nierensteine sowie die damit verbundenen Schäden am Nierengewebe reduzieren. [5]
- potenziell blutdrucksenkende Wirkung als ACE-Hemmer: möglicher Einfluss auf die Spannung peripherer Blutgefäße, außerdem umfassende Wirkung als Herzschutz [6]
- potenziell antioxidative Wirkung: Bei Zelllinien von Mäusen konnte Vogelknöterich freie Sauerstoffradikale reduzieren. [7]
- Diskutiert wird auch eine direkte antitumorale Wirkung: Brustkrebszellen konnten in vitro durch Anregung der Apoptose (= programmierter Zelltod) mittels ausreichend konzentrierten Vogelknöterich-Extrakten um bis zu 50% dezimiert werden . [8]
- möglicher Einsatz gegen Adipositas: Fettgewebe, Gewichtszunahme, Triglyceridwerte und die Bildung von Fettzellen wurden bei übergewichtigen Mäusen reduziert. [9]
- Diskutiert wird auch eine blutstillende und wundheilungsfördernde Wirkung. [9]
- entzündungshemmende Wirkung: Zahlreiche Studien legen nahe, dass Vogelknöterich die Wundheilung verbessern und auch bei Zahnfleischentzündung Einsatz finden könnte. [10 –11]
- Die antimikrobielle Wirkung verschiedener Vogelknöterich-Extrakte gegen Bakterien und Pilze konnte in vitro belegt werden. Gerade der Chloroform-Extrakt wirkte gegen sämtliche getestete grampositive und gramnegative Bakterien sowie gegen zahlreiche sämtliche getestete Pilze außer Candida albicans. [12]
- Arteriosklerose: möglicher Einsatz als Vorsorge und Begleitbehandlung [1]
- ergänzend bei chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) und Asthma: potenzielle Weitstellung der Bronchialgefäße durch Vogelknöterich [13]
- potenziell antidiabetische, Blutzucker senkende Wirkung [14]
- Spermienqualität könnte verbessert werden [15]
Hinweis: Die vorgestellten Studienergebnisse dienen nicht als Anleitung zur Selbstbehandlung mit einer Zubereitung aus dem Vogelknöterich. Sie sind hier beispielhaft genannt, um das mögliche Potenzial der Pflanze aufzuzeigen. Weitere Studien sind notwendig.
Was ist drin, was wirkt wie?
Vogelknöterichkraut enthält folgende Wirkstoffe mit entsprechenden Wirkungen:
- Flavonoide und Phenolcarbonsäuren: werden meistens für die antioxidativen Wirkungen verantwortlich gemacht
- Gallotannin- und Katechin-Gerbstoffe: zusammenziehend (adstringierend)
- Kieselsäure: Strukturelement für das Bindegewebe und die Organe
- Cumarine: Einfluss auf Durchblutung
- Aviculan (ein Lignan): Einfluss auf das Hormonsystem
- Naphthochinone: entkrampfend und sekretolytisch
- Schleimstoffe: reizlindernd
- Kieselsäure: Wirkung auf Haut, Binde- und Stützgewebe
Anerkannte medizinische Anwendung
Ausgehend von der äußert umfangreichen Sammlung der inzwischen erforschten Anwendungsgebiete lesen sich die offiziellen Empfehlungen für Polygonum aviculare leider sehr reduziert: Die europäische Zulassungsbehörde für pflanzliche Arzneimittel HMPC findet in seiner Einstufung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel einen sehr engen Rahmen. Basierend auf langjähriger Erfahrung kann demnach das Vogelknöterichkraut innerlich zur Behandlung einer banalen Erkältung und zur Erhöhung der Harnmenge eingesetzt werden – und damit zur Durchspülung der Harnwege unterstützend bei leichten Harnwegsbeschwerden. Äußerlich wird noch die Anwendung bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum empfohlen [16].
Anwendungshinweise
Verwendet wird vom Vogelknöterich meist das geschnittene Kraut (Herba Polygoni avicularis) in Teemischungen oder als wässriger Auszug in flüssigen Zubereitungen: 2 Gramm Vogelknöterich-Kraut mit 150 ml siedendem Wasser übergießen, nach etwa 10 Minuten abseihen. Du kannst pro Tag bis 5 Tassen Vogelknöterich-Tee trinken, 3 Tassen sollten es mindestens sein. Leicht verdünnt kannst du ihn auch zum Gurgeln verwenden. Eine maximale Anwendungsdauer – gerade in einer wechselnden Teemischung mit anderen Heilpflanzen – ist nicht festgelegt.
Bei Harnwegsinfekten solltest du außer dem Tee generell viel Flüssigkeit zu dir nehmen. Ist jedoch eine Einschränkung deiner Herz- oder Nieren-Funktion bekannt, solltest du auf eine Durchspülungstherapie (also auch auf den Vögelknöterich-Tee) verzichten.
Wichtig: Eine Durchspülungstherapie mit Vogelknöterich ist eine effektive therapeutische Maßnahme, jedoch stellt sie in vielen Fällen keine eine ausreichende medizinische Behandlung dar. Zur Abklärung von grundlegenden Erkrankungen und bei unklaren oder sich verschlechternden Symptomen jeglicher Art solltest Du zunächst auf jeden Fall einen Arzt oder Heilpraktiker konsultieren.
Auch wenn keinerlei Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen belegt sind, wird aufgrund fehlender Studien die Einnahme in der Schwangerschaft, Stillzeit und bei Kindern unter 12 Jahren vorsichtshalber nicht empfohlen [16].
Abschluss
Im Vogelknöterich finden wir einen Tausendsassa, eine fast überall verbreitete Heilpflanze. Bis vor 100 Jahren wurde sie auch medizinisch äußerst breit eingesetzt, sogar Wunderheilungen wurden ihr zugeschrieben. Da sie uns mit ihrem robusten Wesen auf Schritt und Tritt begleitet, wird sie heutzutage aber oft als Unkraut verschmäht. Die wissenschaftlichen Studien aus den letzten 20 Jahren haben nun ein therapeutisches Potenzial entdeckt, das den umfangreichen mittelalterlichen und antiken Indikationen sehr nahe kommt. Da er eine ungiftige und unkompliziert zu verwendende Heilpflanze ist, ermutige ich Dich, Dich mehr mit dem Vogelknöterich zu beschäftigen. Es lohnt sich!
Literatur
[1] Bäumler S. Heilpflanzenpraxis heute – Arzneipflanzenportraits. München: Elsevier; 2021
[3] Bock H. Kreüterbuch: Darin Underscheid, Würckung und Namen der Kreüter so in Deutschen Landen wachsen / Auch der selbigen eigentlicher und wolgegründter gebrauch inn der Arznei fleissig dargeben / Leibsgesund. Kreüter Buchs dritte Theile von Stauden, Hecken, und Beümen; 1546
Wichtiger Hinweis!
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.