Pflanzenheilkunde

Kräutersträuße an Maria Himmelfahrt

11. August 2023
Kräuterstrauß

Seit Jahrhunderten werden am 15. August in vielen katholischen Orten Kräutersträuße gesegnet. Man könnte also denken, es handelt sich bei der Kräuterweihe um einen urchristlichen Brauch, aber die Wurzeln liegen wahrscheinlich in vorchristlicher Zeit. Woher kommt dieser Brauch und welche ursprüngliche Bedeutung steckt dahinter?

Rudi Beiser

Lesezeit: 5 Minuten

Wie kamen die Kräutersträuße zu Maria Himmelfahrt?

Alljährlich feiert die katholische Kirche am 15. August das bedeutendste Marienfest: Maria Himmelfahrt. Dabei gedenkt man der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Es ist das älteste Marienfest, denn es wird in der Ostkirche schon seit dem 6. Jahrhundert gefeiert. Im 7. Jahrhundert übernahm die römische Kirche den Feiertag und erst im 9. Jahrhundert fand er den Weg in die gerade missionierten germanischen Gebiete. Dort verknüpfte man das Marienfest mit einem alten germanischen Brauch – nämlich mit der Weihe von Kräutersträußen für magische Zwecke. Die kirchliche Bedeutung der Aufnahme Marias in den Himmel hatte für das Volk einen wesentlich geringeren Stellenwert als das alte Weiheritual. In manchen Gegenden nannte man das Marienfest deshalb nur „Unser Frauen Würzweih“, „Büschelfrauentag“ oder „Kräuterweihtag“. Daran kann man gut erkennen, wie wichtig dabei die Kräuter waren. Die Kräuterweihe, die fast nur im deutschsprachigen (germanischen) Raum überliefert ist, muss also getrennt von der Himmelfahrt Marias gesehen werden. Manche vorchristlichen Bräuche adaptierte die Kirche bewusst, da man merkte, dass der Übergang vom Heidentum zum Christentum leichter vonstattenging, wenn man bereits existierende Vorstellungen integrierte.

Geweihte Kräutersträuße – Vom Dorn im Auge zum Marienbrauch

Anfangs hatte die Kirche große Schwierigkeiten, den alten Brauch zu akzeptieren. Der Missionar Bonifatius (672-754) versuchte, die in Frankenreich verbreitete Kräuterweihe auf einem Konzil im Jahre 743 zu verbieten. Er war nicht nur Gegner von den geweihten Kräutersträußen, er machte auch Schlagzeilen durch das Fällen einer heiligen Eiche in Geismar. Als sich die Kräuterweihe nicht erfolgreich verbieten ließ, wurde sie schließlich zum Marienbrauch. Seit 813 werden nun die Kräuter mit Erlaubnis der Kirchenoberen beim Marienfest in der Kirche geweiht.

Maria übernahm bei diesem alten Weihebrauch die Rolle der vorchristlichen Göttinnen, denen die Heilkräuter ursprünglich zugeordnet waren. Nun bekamen diese ihre Kraft durch die Muttergottes. Vor allem die Frauen verehrten Maria, vertrauten sich ihr an und suchten ihre Unterstützung. In der streng patriarchalen Gesellschaftsordnung des Mittelalters war sie für die nahezu rechtlosen Frauen oft der einzige Rettungsanker.

Heilkräuter sammeln für die Segnung

An den Tagen vor dem Himmelfahrtsfest durchstreiften Frauen und Kinder die Wiesen und sammelten körbeweise Heilkräuter. Nach alter magischer Tradition sollten alle Pflanzen, die in den Kräuterstrauß gebunden wurden, vor Sonnenaufgang und ohne Messer mit der linken Hand gesammelt werden. In manchen Gegenden wurden die Kräuter am Donnerstag vor Maria Himmelfahrt gesammelt. Das hat folgenden vorchristlichen Ursprung: Man nutzte den heiligen Tag des germanischen Wettergottes Donar, weil die Kräuterbüschel häufig zur Gewitterabwehr dienten. Selbst im christianisierten Mittelalter hatten die Menschen noch immer großen Respekt vor dem blitzeschleudernden Wettergott. Die Kräuter wurden nun zu Sträußen gebunden, um sie dann in der Kirche weihen zu lassen. Mit der Segnung erhöhte sich die Heil- und Abwehrkraft der Kräuter. Sie standen nun unter dem Schutz der „Gottesmutter“. Danach nahm man sie mit nach Hause und trocknete sie sachgemäß . Je nach Gegend hießen die Sträuße „Würzwisch“, „Wiehenne“, „Wurzbüschel“ oder „Weihbuschen“. Das Wort Wurz ist eine alte Bezeichnung für Kräuter, weshalb man den Marientag (15. August) oftmals „Würzweih“ nannte. Auch der Kräutergarten hieß früher Wurzgarten.

Nicht alle Pflanzen durften in die Kräutersträuße

Nach alter Überlieferung verwendete man für die Kräutersträuße nur ganz bestimmte Pflanzen. Ursprünglich durften es nur wildwachsende Heilpflanzen sein, in heutiger Zeit werden auch Zierpflanzen und Gartenblumen genommen. Mit der Zeit wurden die Sträuße (auch Buschen genannt) immer stattlicher. Es hieß: „Je größer und schöner der Buschen, desto größer der Bauer!“ Die Zusammensetzung der Sträuße variierte von Region zu Region. Trotzdem sind einige Pflanzen auffallend häufig vertreten. Meist handelte es sich um Pflanzen, die eine alte Tradition im heidnischen Schutz- und Abwehrzauber besaßen. Es wurden also vor allem Kräuter genommen, denen man zutraute, sowohl Gewitter als auch Hexen und den Teufel abzuwehren.

Die bedeutendsten Himmelfahrtskräuter

Traditionell gehörten in die Kräutersträuße zu Maria Himmelfahrt wahlweise: Alant, Baldrian, Beifuß, Blutweiderich, Dost, Eisenkraut, Enzian, Frauenmantel, Großer Wiesenknopf, Haselnusszweige, Johanniskraut, Kamille, Kornblume, Königskerze, Labkraut, Leinkraut, Odermennig, Quendel, Rainfarn, Rohrkolben, Schafgarbe, Tausendgüldenkraut, Wasserdost, Wiesenknopf, Wegwarte, Weidenröschen.

Daneben spielten auch einige südeuropäische Pflanzen eine Rolle, die über die Klostergärten in die Bauerngärten gelangt waren: Dill, Eberraute, Liebstöckel, Salbei, Weinraute und Wermut. Außerdem kamen je drei Ähren der vier wichtigsten Getreidearten Gerste, Hafer, Roggen und Weizen in die Sträuße.

Noch wirksamer mit Zahlenmagie

Im Brauch des sogenannten Büschelbindens finden sich viele Rituale aus heidnischer Zeit. So spielte beispielsweise die Zahlenmagie eine wichtige Rolle. Es sollten Sträuße mit 7, 9, 12 oder gar 33, 72, 77 und 99 Pflanzen sein. Dabei handelte es sich um heilige oder magische Zahlen, die die Wirksamkeit der Kräuter erhöhen sollten.

Die Neun war vor allem im keltischen und germanischen Raum als Zauberzahl bekannt und wurde gerne im Kräuterzauber eingesetzt. Sie galt deshalb als besonders wirksam, weil sie die seit Urzeiten heilige Zahl Drei in sich trägt. Die Zahl Sieben war vor allem den Hochkulturen des Nahen Ostens (Babylon, Ägypten) heilig. Die Zahl 72 geht auf eine fromme Marienlegende zurück: Die Mutter Gottes soll im Alter von 72 Jahren gestorben sein. Die Jünger hatten sie begraben, nur der in Indien weilende Thomas kam zu spät zur Bestattung. Als er schließlich eintraf, öffnete man extra für ihn das Grab. Es war zur großen Überraschung leer, aber vom lieblichen Wohlgeruch von 72 Blumen erfüllt. Diese Legende von den duftenden Blumen in Marias Grab nahm die Kirche als Erklärung , weshalb man an Maria Himmelfahrt Kräutersträuße weiht.

Mächtiger Schutzzauber mit geweihten Kräutern

Der Theologe und Schriftsteller Sebastian Franck schrieb 1534 in seinem „Weltbuch“ über die Nutzung der auch Würzbüschel genannten Kräutersträuße „an unser Frauen Himmelfahrt“: „Mit diesen Kräutern geschieht sehr viel Zauberei“. In der Tat galten die geweihten Kräuter als zauberkräftig. Sie wurden keineswegs nur für medizinische Zwecke eingesetzt, sondern man verteilte sie in Haus oder Stall, um dort jegliches Unheil fernzuhalten: Der Kräuterbüschel kam auf den Dachboden, um das Haus vor Feuer, Hagel und Gewitter zu schützen. Einige kleine Sträuße wurden im Haus verteilt und hinter die Kruzifixe gesteckt. Bei heraufziehendem Gewitter warf man dann Teile davon ins Feuer, damit der aufsteigende Rauch den Blitz fernhielt. Wenn jemand krank wurde, bekam er einen Tee aus Kräutern vom Weihbüschel. In Leinensäckchen genäht, legte man die geweihten Kräuter auch ins Ehebett, damit die Ehe glücklich blieb und mit vielen Kindern gesegnet wurde. Schwerkranke besprengte man mit Hilfe einiger Zweige aus dem Kräuterstrauß mit Weihwasser, und selbst den Toten legte man ein Zweiglein in den Sarg. Beim Neubau eines Hauses platzierte man einen Zweig unter die Türschwelle, damit kein Unheil ins Haus kam. Verreisende schützten sich in der Fremde mit einem kleinen Kräutersäckchen, gefüllt mit Würzbüschelkräutern. Selbst im Viehstall hing immer ein Büschel und bei Viehkrankheiten mischte man etwas davon unters Futter.

Und zum Schluss …

Der an Maria Himmelfahrt geweihte Kräuterstrauß hat seinen Ursprung in vorchristlicher Zeit. Die Kräuter verwendete man damals zwar auch für volksmedizinische Zwecke, im Vordergrund standen jedoch schutzmagische Anwendungen, um Unheil abzuwenden.

Literatur

[1] Beiser R. Kraft und Magie der Heilpflanzen. Stuttgart: Ulmer; 2019

[2] Becker-Huberti M. Lexikon der Bräuche und Feste. Freiburg: Herder; 2007

Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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