Pflanzenheilkunde

Stechpalme – ein uraltes Weihnachtssymbol

16. Dezember 2022
Stechpalme

Die Stechpalme (Ilex aquifolium) wurde 2021 zum Baum des Jahres gekürt. Das war eine gute Wahl. Denn der immergrüne Baum mit seinen stacheligen Blättern gehört bei uns nicht zu den bekanntesten Bäumen. Aber es gab Zeiten, wo ihn jedes Kind kannte v.a. zur Weihnachtszeit.

Rudi Beiser

Lesezeit: 5 Minuten

Die immergrüne Stechpalme im Brauchtum unserer Vorfahren

Bäume mit immergrünem Laub wurden von unseren Vorfahren besonders verehrt, und die Stechpalme ist in unseren Breiten der einzige immergrüne Laubbaum. Sie war bei den alten Völkern der Inbegriff des ewigen Lebens. Deshalb hatte sie sowohl bei den Kelten als auch bei den Germanen eine wichtige Funktion im Kult und spielte bei Riten, in denen es um Geburt und Wiedergeburt ging, eine bedeutende Rolle.

In der dunklen Jahreszeit rund um die Wintersonnwende schmückte man die Häuser und Stuben mit Stechpalmenzweigen. Man holte sich mit dem immergrünen Blattwerk und den roten Früchten die Hoffnung auf den baldigen Frühling ins Haus. Außerdem diente die stachelige Dekoration als Abwehrzauber, weshalb man auch sehr oft Kränze daraus fertigte und an die Türen hängte. So sollten einerseits böse Geister ferngehalten werden, aber andererseits hieß man mit diesem Schmuck auch gute Waldgeister, Feen und Elfen willkommen. Die guten Geister hielten sich im Glauben unserer Vorfahren gerne im Stechpalmenbusch auf und behüteten somit die Hausbewohner vor bösen Einflüssen.

Das Brauchtum, zur Wintersonnwende Stechpalmenzweige ins Haus zu holen, wurde nach der Christianisierung beibehalten, auch wenn die ursprüngliche Bedeutung verloren ging. Die Stechpalme hat somit eine viel ältere „Weihnachtstradition“ als der Weihnachtsbaum. Der tauchte erst Ende des 16. Jahrhunderts auf. Die immergrünen Blätter und die roten Beeren der Stechpalme repräsentieren bis heute die traditionellen Weihnachtsfarben.

Im 19. Jahrhundert kam die Stechpalme als Symbol der Advents- und Weihnachtszeit so sehr in Mode, dass ganze Wagenladungen aus den Wäldern geholt wurden. Per Eisenbahn wurden sie auch in Gegenden gebracht, wo keine Stechpalmen wuchsen. Dieser übermäßige Raubbau brachte die Bestände in Gefahr, sodass die Stechpalme 1935 unter Schutz gestellt wurde. Seither dürfen keine wildwachsenden Stechpalmen mehr beschnitten oder ausgegraben werden. Das ist der Grund, warum Stechpalmenzweige bei uns als Weihnachtsschmuck verschwunden sind.

Im englischen Sprachraum (Großbritannien, Nordamerika) ist die Stechpalme jedoch zusammen mit Mistel und Efeu bis heute das bestimmende Weihnachtssymbol geblieben. Im Englischen heißt die Stechpalme holly. So hat auch das berühmte amerikanische Hollywood einen Bezug zu dem stacheligen Baum: Hollywood heißt Stechpalmenwald, weil in jener Gegend bei der Gründung im Jahre 1887 sehr viele Stechpalmen wuchsen.

Wie aus der Palme die Stechpalme wurde

Die Stechpalme galt den keltischen Druiden als heilig. In irisch-keltischen Legenden wird vom Stechpalmenkönig berichtet, ein in Blätter gehüllter Riese mit einer Stechpalme als Keule. Als sogenannter Winterkönig herrschte er von der Sommersonnwende bis zur Wintersonnwende. Trotz heidnischer Vergangenheit ging der Baum nahtlos in die christliche Tradition über. Zahlreiche Legenden verbinden nun Jesus mit dem stachelblättrigen Baum. So soll er überall da entstanden sein, wo Jesus einst über die Erde wandelte. Die spitzen Blätter der Stechpalme sollen dabei sein Leiden symbolisieren.

Eine christliche Legende erklärt die Entstehung der Stacheln an den Blättern: Die Stechpalme entwickelte sich aus den Palmzweigen, mit denen Jesus beim Einzug in Jerusalem begrüßt wurde. Das Volk streute sie auf den Weg. Damals rief es zur Begrüßung noch begeistert „Hosianna“. Als er wenig später nach seiner Verhaftung den gleichen Weg entlanggeführt wurde, riefen die Leute: „Ans Kreuz mit ihm“. Daraufhin bekamen die besagten Palmblätter an den Blatträndern Dornen und wurden als Dornenkrone verwendet.

Die Stechpalme beim Einzug in Jerusalem

Durch die Verbindung mit Jesus und seinem Einzug in Jerusalem wurde die Stechpalme ein wichtiger Bestandteil des am Palmsonntag geweihten Palmstrauchs. Außer der Stechpalme wurden für den Palmen auch andere immergrüne Zweige, wie Wacholder oder Buchsbaum, verwendet. Je nach Region waren die Palmbuschen unterschiedlich gestaltet: als Kranz, als Strauß, als Kreuz oder auf einen meterlangen Stecken gesteckt. Der Palm garantierte dann über das kommende Jahr hinweg Schutz für Mensch und Tier: vor Hexen, Geistern, dem Teufel, Krankheiten und Gewittern. Die Kräuter des geweihten Palms wurden in Stall und Haus verteilt und vor allem auf den Dachstuhl gehängt, um Blitzeinschläge zu verhindern.

Die Stechpalme als Lebensrute

Die Kräuter des Palms, vor allem aber die Stechpalme, wurden auch als Lebensrute genutzt. Man schlug dem Vieh vor dem Austrieb auf den Rücken, damit es gesund blieb. Ähnliche Bräuche mit der Lebensrute gab es auch an Weihnachten und an Fastnacht. Hierbei wurden ebenfalls Stechpalmenzweige sowie Tannen- oder Fichtenzweige verwendet. Man schlug damit Frauen, Mädchen und weibliche Tiere, um ihre Fruchtbarkeit anzuregen. Das Schlagen wurde auch „fudeln“ oder „kindeln“ genannt, was deutlich macht, worum es bei dem Brauch ging. Die immergrünen Zweige symbolisierten nämlich die Vegetationskraft der Natur. Diese Kraft sollte dann auf die Fruchtbarkeit der Frauen wirken.

Stechpalme
Aufgrund ihrer möglichen Giftwirkung wird die Stechpalme heute nicht mehr verwendet. Quelle: Rudi Beiser, Friesenheim

Wissenswertes aus der Botanik

Die Gewöhnliche Stechpalme (Ilex aquifolium) ist ein immergrüner kleiner Baum. Der Baum kann 8–10 m hoch und 300 Jahre alt werden. Sie zählt zu den Stechpalmengewächsen, wozu auch der in Südamerika heimische Matestrauch (Ilex paraguariensis) gehört. Die glatten Blätter sind lederartig dick. Der Blattrand ist deutlich gewellt und mit stachelspitzen Zähnen versehen. Die Blätter in den oberen Regionen des Strauches sind interessanterweise meist nicht stachelig und auch kaum gewellt, vermutlich weil sich die Stechpalme nur in den unteren Regionen gegen Tierfraß schützen muss.

Ab Mai erscheinen die kleinen weißen Blüten. Sie sitzen in Büscheln in den Blattachseln und duften zart süßlich. Die Pflanze ist zweihäusig, das heißt, männliche und weibliche Blüten sitzen auf unterschiedlichen Bäumen. Nur die Weibchen bilden die roten Steinfrüchte aus, die im Herbst erscheinen. Im Winter sieht der Busch durch die kugeligen, leuchtend roten Früchte wie ein geschmückter Weihnachtsbaum aus.

Achtung! Die erbsengroßen Früchte sind giftig und können Erbrechen auslösen.

Die Stechpalme in der Volksmedizin

Die roten Früchte der Stechpalme gelten als giftig, da sie Alkaloide enthalten. Vielleicht wird der Baum deshalb in den Kräuterbüchern des Mittelalters nur selten erwähnt. Zu den überlieferten Anwendungen der Blätter gehörten beispielsweise Seitenstechen, Husten und äußerlich Auflagen bei verrenkten Gliedern. Der Einsatz bei Seitenstechen wurde vermutlich auf die Signatur der stacheligen Blätter zurückgeführt.

In der späteren Volksmedizin nutzte man die Blätter vor allem bei Erkältungskrankheiten und Fieber. Kräuterpfarrer Künzle (1857–1945) lobte zum Beispiel die Wirkung bei Fieber und empfahl die schweißtreibenden Blätter als Vorbeugemittel gegen Grippe. Der harntreibende Blättertee wurde in der Volksmedizin auch bei Gicht und Rheuma verordnet. Außerdem sollte eine Blätterabkochung bei Bauchschmerzen und Gelbsucht helfen. Auch zum Gurgeln bei Entzündungen im Mund kam der Absud zum Einsatz. Es wurden ausschließlich die Blätter verwendet, da sie relativ wenige Giftstoffe enthalten.

Hinweis! Heute wird die Stechpalme wegen der möglichen Giftwirkung nicht mehr verwendet, weder die Blätter noch die Blüten.

Lediglich in der Gemmo-Therapie verwendet man Auszüge aus den Knospen bei chronischer Immunschwäche und bei allgemeinen Schwächezuständen. In der klassischen Bachblütentherapie ist die Stechpalmenblüte (Holly) eine wichtige Medizin, um Hass, Neid, Wut und Eifersucht zu überwinden und in Liebe zu verwandeln.

Und zum Schluss …

Die immergrüne Stechpalme war früher eine heilige Pflanze der Kelten und Germanen. Sie wurde aber auch im christlichen Brauchtum eingesetzt, zum Beispiel an Weihnachten oder an Ostern (Palmsonntag). Die alte magische Verwendung der Stechpalme taucht interessanterweise wieder in der modernen Literatur auf: Harry Potters Zauberstab wurde nämlich aus dem Holz der Stechpalme gefertigt!

Literatur

[1] Beiser R. Geheimnisse der Hecken. Stuttgart: Ulmer; 2019

[2] Laudert D. Mythos Baum. München: BLV; 2003

Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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