Die Nelkenwurz ist eine häufig anzutreffende Wildpflanze. Sie wächst in Siedlungesnähe hauptsächlich an Zäunen, Wegrändern und in Gärten. Im Mittelalter war die Nelkenwurz für ihre Heilwirkung berühmt. Erstaunlich, dass sie heute in keinem Arzneibuch mehr verzeichnet ist und sie lediglich noch die Volksheilkunde kennt.
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Nelkenwurz ist gleich Benediktenwurz
Im Mittelalter war die Nelkenwurz (Geum urbanum) unter den Namen Benediktenkraut oder Benediktenwurz bekannt und beliebt. Namentlich war sie damit an den Heiligen Benedikt gebunden, den Begründer der Klosterheilkunde: Gläubige Mensch versprachen sich im Mittelalter bei einer Erkrankung auch den Beistand dieses Heiligen, wenn sie die ihm zugeordneten Pflanzen anwendeten. Wir können heute davon ausgehen, dass die Benediktinermönche die Pflanze des Ordengründers in der Klostermedizin fleißig einsetzten.
Damals schätzte man die Heilkraft der Nelkenwurz gegen zahlreiche Krankheiten. Der Tübinger Medizinprofessor Leonhard Fuchs (1501-1566) sah die Stärke in ihren Wurzeln und setzte sie gegen Beschwerden im Bereich der Verdauungsorgane, der Leber und der Lunge ein:
„Die Wurzel in Wein gesotten und also warm getrunken, stärkt die Verdauung des Magens, und stillt das Grimmen im Leib. Sie eröffnet dergestalt gebraucht die Leber, verzehrt den zähen Schleim, der sich um die Brust gelegt und gesammelt hat. Die Wurzel gedörrt und zu Pulver gestoßen, danach in Wein eingenommen, ist gut wider allerlei Gift. Benediktenwurzel gesotten und getrunken heilt alle innerlichen Wunden.“
New Kreuterbuch (1543)
Mit diesem Medizinalwein wurden auch Wunden ausgewaschen und durch Gurgeln Entzündungen in Mund und Rachen gelindert.
Der Botaniker und Arzt Tabernaemontanus 1525-1590) nutzte die Benediktenwurz zur Stärkung des Gehirns, bei Herzschwäche und als Frauenkraut, „für die Weiber und sonderlich die Säugmütter (=Stillende), die große Schmerzen und Entzündung in den Brüsten fühlen“. Der italienische Arzt Mattioli (1501-1577) verordnete die Wurzel sogar bei Lähmungen infolge eines Schlaganfalles und die gepulverte Wurzel empfahl er in „löcherte Schäden“ zu streuen, wie man damals offene und schlecht heilende Wunden nannte.
In der Volksmedizin war die Nelkenwurz viele Jahrhunderte lang sehr beliebt, sodass zu den klassischen Anwendungsgebieten noch weitere hinzukamen: Appetitlosigkeit, Durchfall, Hämorrhoiden, Hautausschläge, Frostbeulen, Scheidenausfluss, Verdauungsbeschwerden und Fieber. Auch nutzte man die Wurzel bei Zahnbeschwerden oder man kaute sie für guten Atem.
Eine Wurzel mit viel Gerbstoffen und ätherischem Öl
Die bedeutsamsten Heilstoffe der Nelkenwurz sind die in großer Menge enthaltenen Gerbstoffe und Phenolsäuren. Sie sind im Wurzelstock stärker konzentriert (10-20 % Gerbstoffe lagern im Rhizom) als in den Blättern [1]. Damit ist der Gerbstoffgehalt der Nelkenwurz zumindest genauso hoch wie der dafür bekannten Blutwurz (17-22 %).
Die Gerbstoffe sind für zahlreiche der oben beschriebenen volksheilkundlichen Anwendungen verantwortlich. Sie können Bakterien durch ihre zusammenziehende und austrocknende Wirkung den Nährboden entziehen, Blutungen stillen und stopfend bei Durchfall wirken. Die in der Nelkenwurz ebenfalls stark vertretenen Phenolsäuren sind bekannt für ihre antioxidative und krebsvorbeugende Wirkung [1].
Das ätherische Öl der Nelkenwurz ist dem der tropischen Gewürznelke sehr ähnlich, aber sie enthält davon wesentlich mehr. Der Stoff, den wir als nelkentypisch für den Geruch empfinden, heißt Eugenol. Es ist im ätherischen Öl der Nelkenwurz mit über 65 % vertreten und befindet sich nur in der Wurzel. Das Eugenol liegt in der intakten Zelle als Glykosid Gein vor. Dieses wird erst bei Verletzung der Pflanze bzw. bei Trocknung durch das Enzym Gease hydrolisiert. Eugenol wirkt schwach lokalanästhetisch und antiseptisch, weshalb die Wurzel schon in der mittelalterlichen Zahnheilkunde einen Platz hatte.
Als Heilpflanze ist die Nelkenwurz weitgehend in Vergessenheit geraten. Von den zahlreichen Heilanwendungen früherer Zeiten ist leider nicht viel geblieben. Lediglich ihre Anwendung aus der Volksheilkunde als Tee zum Spülen bei Mund-‚ Rachen- und Zahnfleischentzündungen ist bis heute erhalten geblieben. Offizielle Monografien der Kommission E, der ESCOP, der WHO oder der HPMC liegen keine vor.
Folgende Zubereitung kann ich als Tee zum Gurgeln empfehlen.
Nelkenwurz-Tee zum Gurgeln
Die adstringierende und antibakterielle Wirksamkeit der Gerbstoffe wird durch die leicht betäubende Wirkung des im Rhizom enthaltenen ätherischen Öls Eugenol ergänzt.
Nimm 2 gehäufte TL zerkleinerte Nelkenwurzrhizome auf ¼ l kochendes Wasser und lasse den Tee 10 Minuten ziehen. Lauwarm mehrmals täglich zum Gurgeln verwenden.
Hinweis: Mund-‚ Rachen- und Zahnfleischentzündungen sind lästig, aber meist harmlos. Wenn sich Deine Beschwerden jedoch nach spätestens 3 Tagen nicht bessern, solltest Du eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Sollten die Beschwerden sich verschlimmern oder Fieber auftritt, solltest Du sofort ärztliche Hilfe suchen.
Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit Arzneimitteln sind keine bekannt, ebenso Allergien.
Der Name ist Programm – die Wurzel schmeckt nach Nelken
Die Nelkenwurz stellt mit ihrem deutschen Namen eine Beziehung zur tropischen Gewürznelke her. Grund dafür ist derGeruch der Wurzel: Sie hat den gleichen Duft wie die Gewürznelke. Daran orientiert sich nicht nur der aktuelle deutsche Name, sondern auch viele alte Bezeichnungen wie Nägelinkraut oder Nagelkraut. Nägele nannte man früher die Gewürz-Nelken, da ihre Form an mittelalterliche Nägel erinnert. Auch die mittelalterlichen Namen Garoffelkraut und Garafelwurtz kommen über Umwege von der Gewürznelke, denn diese wurde von den alten Griechen karyophyllon genannt.
Übrigens: Der Artname urbanum der Nelkenwurz (Geum urbanum) ist auf das lateinische Wort urbanus=städtisch zurückzuführen. Es gibt Hinweis auf den eingangs erwähnten bevorzugten Wuchsort der Pflanze in der Nähe von Siedlungen.
Früher verwendete man die Wurzel als Ersatz für die sehr teuren Gewürznelken. Für diesen Zweck wurde die Nelkenwurz von den armen Bauern sogar in den Gärten kultiviert. Häufig nahm man die getrocknete Wurzel als Zusatz von Wein und Bier. Zum einen als Würze, zum anderen aber auch, um die Getränke vor dem „Sauer werden“ zu schützen. Auch heute kannst Du die aromatische, herb-bittere Wurzel sparsam als Nelken-Gewürz verwenden, bespielweise in Kompott, Punsch oder Weihnachtsgebäck, oder zum Aromatisieren von Limonade, Tee, Wein und Likör nutzen.
Und zum Schluss …
Die im Mittelalter hochgepriesene Nelkenwurz ist als Heilpflanze zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Ihre pharmakologischen Inhaltsstoffe, insbesondere die Gerbstoffe, bestätigen die volksmedizinischen Anwendungen, beispielsweise den Einsatz bei leichten Durchfallerkrankungen oder bei Mund- und Zahnfleischentzündungen.
Literatur
[1] Al-Snafi AE. Constituents and pharmacology of Geum urbanum- A review. 2019
[3] Beiser R. Vergessene Heilpflanzen. Aarau (CH); AT Verlag. 2017
Wichtiger Hinweis!
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.