Papyrus Ebers, Lorscher Arzneibuch, New Kreuterbuch? Bekannt! Hippokrates von Kos, Dioskurides, Walahfrid Strabo? Natürlich auch! Was aber wissen Sie über diese Werke oder ihre Verfasser denn tatsächlich? Kurze und übersichtliche Zusammenfassungen lesen Sie hier. Immer freitags! Denn wir haben da mal was zusammengestellt …
Im ausgehenden 11. Jahrhundert entstand ein großes Lehrgedicht, das ziemlich ausführlich die Wirkungen und Anwendungen von 77 Heilpflanzen beschreibt. Sein Verfasser Odo Magdunensis (also aus Meung an der Loire) ließ sich wohl von Walahfrid Strabos Hortulus inspirieren und übernahm die Versform des lateinischen Hexameters, schuf jedoch ein Werk völlig anderer Art. Er schrieb ein reines Lehrgedicht, das ausschließlich heilkundliches Wissen vermitteln will. Jede Pflanzenstrophe beginnt mit dem Namen, und zumeist werden auch die Primärqualitäten genannt. Odo bezieht sich also auf die Humoralpathologie.
Der ursprüngliche Titel lautete De viribus herbarum oder auch De virtutibus herbarum, das bedeutet: „Über die (Heil-)Kräfte der Kräuter“. In dieser ersten Fassung beschrieb das Gedicht die medizinischen Anwendungen von knapp 60 Pflanzen, wobei Odo unter anderem Plinius d.Ä., Dioskurides, Galen, aber auch Walahfried Strabo zitiert. Sehr bald aber wurde für das Werk ein anderer Titel geläufiger: Macer bzw. Macer floridus (das bedeutet etwa: der blühende bzw. der wiedererblühte Macer). Dieser Titel bezieht sich auf den antiken römischen Dichter Aemilius Macer aus Verona, der mit Ovid und Vergil befreundet war und im Jahr 16 n. Chr. verstarb. Er war der Autor eines häufig zitierten, uns aber verloren gegangenen Pflanzengedichts. Man glaubte im Mittelalter also, Macer sei ein Werk der Antike.
In einigen wenigen Handschriften wird als Autor jedoch ein Odo Magdunensis angeben. Über diesen Odo ist sonst nichts bekannt, aber aufgrund der sehr guten Lateinkenntnisse – das Werk ist in fehlerfreien Hexametern verfasst – und des offensichtlich hohen Bildungsstandes des Autors dürfte Odo ein Benediktinermönch, zumindest Kleriker in Orléans gewesen sein. Aemilius Macer kommt als Autor nicht in Frage, denn zum einen wird im Lehrgedicht Walahfried Strabo ziert, zum anderen sind die letzten 12 Kapitel – hier werden ausschließlich asiatische Pflanzen behandelt – dem Liber graduum des Constantinus Africanus entnommen, allerdings in Hexameter umgesetzt. Demnach kann der Macer floridus frühestens zwischen 1080–90 entstanden sein, bereits um 1100 wird er von anderen Autoren zitiert.
Der Macer floridus war enorm erfolgreich. Es wurde fleißig abgeschrieben und sogar in Schulen im Lateinunterricht verwendet. Spätere Fassungen und der erste Druck (Neapel 1477) waren mit 86 behandelten Pflanzen noch umfangreicher als die früheren Ausgaben. Auf der anderen Seite sind sehr viele Abschriften unvollständig. Auf jeden Fall war der Macer floridus das meistgelesene Werk der Klostermedizin im Mittelalter. Eine sehr erfolgreiche Prosa-Übersetzung ins Deutsche wurde noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Thüringen geschaffen.
Odo war ein sehr selbstbewusster und gebildeter Autor. Er kritisierte sogar Plinius, weil dieser unglaubwürdige Wunderheilungen beschreibe. Im Kapitel 25 verteidigt er den Liebstöckel gegen die Ansicht Walahfrid Strabos:
„Wálahfrid Strabo sagt, dass Liebstöckel, wenn man es trinkt und an ihm riecht, den Augen schädlich sei, und duldet lediglich, dass man den Samen mit Antidoten mischt; ob er diese Angabe aus sich selbst holt oder aus Büchern anderer Gelehrter, ist mir unbekannt; so viel weiß ich indessen, dass die Alten dies Kraut mit hohen Lobsprüchen erheben, und kann mich nicht entsinnen, einen Autor gelesen zu haben, der die Ansichten Walahfrids bestätigte.“
Odo Magdunensis: Macer floridus
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Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.