Papyrus Ebers, Lorscher Arzneibuch, New Kreuterbuch? Bekannt! Hippokrates von Kos, Dioskurides, Walahfrid Strabo? Natürlich auch! Was aber wissen Sie über diese Werke oder ihre Verfasser denn tatsächlich? Kurze und übersichtliche Zusammenfassungen lesen Sie hier. Immer freitags! Denn wir haben da mal was zusammengestellt …
Noch im 10. Jahrhundert entstand in der süditalienischen Stadt Salerno eine medizinische Ausbildungsstätte. Ausgangspunkt war wahrscheinlich ein Hospital, das vom ältesten Benediktinerkloster Montecassino betrieben wurde. 1057 – vielleicht auch etwas später – kam der aus Tunesien (Karthago) stammende Constantinus nach Salerno. Er hatte in Bagdad und vielleicht auch in Kairo Medizin studiert und bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Handel von Arzneidrogen, bevor er sich in Karthago als Arzt niederließ. Von der übrigen Ärzteschaft angefeindet kam er nach Salerno und lernte die Ärzteschule kennen. Erschrocken über die geringe Qualität der dortigen Literatur begab er sich auf eine dreijährige Reise, um griechisch-arabische Werke zu sammeln.
1078 trat er in das Kloster Montecassio ein und verfasste etwa 18 Schriften, die gekürzte Übersetzungen aus dem Arabischen darstellen. Darunter auch die Arzneimittellehre Liber graduum (Buch von den Wirkungsgraden). Dieses Werk beschreibt sehr kurz 210 Arzneidrogen, geordnet nach ihren Wirkungsgraden; so behandelt das 1. Buch wärmende und kühlende Mittel im ersten Grad.
Die Übersetzungen Constantins, der sich nach seiner Herkunft Constantinus Africanus nannte, gaben der Ärzteschule von Salerno einen enormen Aufschwung, sodass die Schola Medica Salernitana im 12. Jahrhundert zur wichtigsten Medizinschule Westeuropas wurde. Erst jetzt hatte man in Europa wieder grundlegende Kenntnis vom System der Humoralpathologie, wie das Beispiel vom Wermut aus dem Liber graduum zeigt:
„Wermut ist warm im ersten Grad, trocken im zweiten. Er stärkt den Magen und führt die rote Galle durch Entleerung ab. Galenus sagt im Brief an Glaucus: Wermut hat zwei Wirkungen, eine abführende und eine zusammenziehende. Wenn er deswegen bei einer Krankheit, die noch nicht verdaut ist, gegeben wird, verhärtet er den Krankheits-Stoff, so dass er ungefügig wird. Daher kommt es gleichsam zu einem Kampf, weil die abführende Kraft den Stoff bewegt, damit er mit der Entleerung hinausgeht, während die zusammenziehende Wirkungskraft ihn härtet und seine Bewegung verhindert. Deswegen leidet der Mensch. Wird Wermut verabreicht, wenn der Stoff der Krankheit verdaut wurde, wird er gefügig und ist leicht auszuscheiden.“
Constantinus Africanus: Liber graduum
Demnach dürfte man Wermut erst dann verabreichen, wenn die Magen-Darm-Erkrankung schon weitgehend überwunden ist.
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Mehr über historische medizinische Schriften, deren Verfasser und die Anwendung der Heilpflanzenkunde in der Klostermedizin lesen Sie in: Klostermedizin bei Erkrankungen des Verdauungstrakts | 9783132416437 | Thieme Webshop
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Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.