Künstliche Intelligenz (KI) krempelt unser Leben um. Im Guten wie im Schlechten. Neben den bedrohlichen und ungewissen Szenarien gibt es Grund zum Hoffen. Künstliche Intelligenz erleichtert zum Beispiel die pharmakologische Forschung, was die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen dürfte. Auch die Pflanzenheilkunde dürfte davon profitieren.
Lesezeit: 3,5 Minuten
Die Entwicklung neuer Medikamente ist langwierig und kostspielig. Ist nach langer Grundlagenforschung ein Wirkstoff gefunden, der bei einer bestimmten Erkrankung helfen könnte, können immer noch 10 Jahre klinische Forschung vergehen, bis ein entsprechendes Medikament auf dem Markt ist.
KI könnte den Weg von der Grundlagenforschung hin zum Medikament verkürzen, indem sie unter anderem hilft, Moleküle zu identifizieren, deren Erforschung sich lohnt. Denn die KI kann unter anderem große und für Menschen schwer überschaubare Datenmengen auswerten. Aus einem großen Pool an Wirkstoffen könnten sie dadurch aussichtsreiche Kandidaten identifizieren.
Zudem kann KI die Daten von Studien schneller auswerten, den Publikationsprozess beschleunigen und Prozesse bei Erforschung und Produktion optimieren [1]. Die Unternehmungsberatung McKinsey schätzt, dass bereits Ende 2022 270 Firmen in die KI-basiert pharmazeutische Forschung investierten [2].
Mit KI auf der Suche nach neuen Malaria-Wirkstoffen
Auch in der Pflanzenforschung kann KI eine große Hilfe sein und zu einem besseren Verständnis bereits bekannter, aber auch zur Entdeckung unbekannter Heilpflanzen beitragen.
Besonders im Bereich der Malariaforschung spielen Heilpflanzen schon seit Jahrzehnten eine große Rolle. Zwei der wichtigsten Anti-Malariawirkstoffe haben ihren Ursprung im Pflanzenreich: Chloroquin und Artemisinin. Chloroquin wird synthetisch hergestellt und ist dem Chinin, einem Alkaloid der Rinde des Chinarindenbaumes (Chinchona pubescens), nachempfunden. Artemisinin wird aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnen. Auch der bei Malaria eingesetzte Arzneistoff Atovaquon hat ein Vorbild aus der Pflanzenwelt: das Lapachol des südamerikanischen Lapacho-Baums (Handroanthus impetiginosus, früher Tabebuia avellanedae). Diese drei Pflanzen gelangten nicht zufällig in den Fokus der Malaria-Forschung. Sie wurden bereits lange ethnomedizinisch gegen Malaria und ähnliche fieberhafte Infektionen eingesetzt [3]. Die Auswertung der traditionellen Nutzung von Heilpflanzen kann damit zu der Entwicklung neuer Arzneistoffe führen. Diese Methode führt zwar immer wieder zu guten Erfolgen, doch sie ist zeitaufwendig. Zudem ist sie auf den Bereich der bereits bekannten Heilpflanzen limitiert, die nur einen sehr kleinen Teil der insgesamt fast 400 000 Pflanzenarten ausmachen [4]. Unter denen vermuten Forschende eine sehr große Anzahl noch unbekannter Heilpflanzen und Wirkprinzipien.
Mensch gegen KI: Wer findet mehr potenzielle Heilpflanzen?
Die Durchforstung großer Datenmengen stellt kein Problem für KI dar. Ihre große Stärke liegt zudem im Entdecken und Wiedererkennen von Mustern in großen Datensätzen. Für eine 2023 publizierte Studie haben die Forschenden der Royal Botanic Gardens in London und der Universität Freiburg in der Schweiz eine KI 21 000 Arten aus drei Pflanzenfamilien untersuchen lassen: aus der botanischen Familie der Hundsgiftgewächse (Apocynaceae), der Brechnussgewächse (Loganiaceae) und der Rötegewächse (Rubiaceae). Aus allen drei Familien waren bereits 281 Heilpflanzen bekannt, deren Inhaltsstoffe eine Wirkung gegen Malaria-Erreger zeigen, unter den Rötegewächsen befindet sich zum Beispiel der bereits erwähnte Chinarindenbaum. Die Aufgabe der KI war es, unter den nahen Verwandten dieser 281 bekannten Anti-Malariapflanzen nach neuen aussichtsreichen Kandidaten zu suchen. Hierzu wurde die KI zunächst darauf trainiert, eine potenzielle Anti-Malariawirkung von Pflanzen identifizieren zu können. In der Publikation zu dieser Studie gibt es leider keinen exakten Hinweis darauf, wie das möglich ist, doch können wir uns das so vorstellen: Die KI erhielt alle bekannten botanischen Informationen über die bereits bekannten 281 Heilpflanzen, beispielsweise Inhaltsstoffe, Blütenfarbe oder Wuchsort. Aus diesen Informationen erstellte die KI eine Art Schablone, mit der sie alle anderen 21 000 Arten verglich.
Das Ergebnis: Die KI identifizierte 7677 Pflanzen, bei denen eine weitere Forschung aussichtsreich sein könnte. Die KI kam nicht nur deutlich schneller als ein Mensch und damit wesentlich kostensparender zu diesem Ergebnis. Sie war in ihrem Vorgehen auch gründlicher.
Auf Grundlage eigener Überprüfung gehen die Forschenden davon aus, dass sie mit konventionellen Methoden wohl jede sechste Pflanze übersehen hätten. Das Ergebnis von 7677 Pflanzen könnten nun in einem nächsten Schritt weiterbearbeitet werden. Die KI könnte hierfür noch ethnobotanische und weitere pharmakologische Informationen berücksichtigen [5].
Und zum Schluss …
Die unter Mitarbeit der Universität Freiburg publizierte Untersuchung gibt uns einen Vorgeschmack auf die Pflanzenforschung der Zukunft. Mithilfe einer KI ist es nicht nur möglich, eine Nadel im Heuhaufen zu finden. Für diese Aufgaben wären bereits von Menschen geschriebene Programme ausreichend. Eine KI könnte im Heuhaufen noch alle möglichen Dinge finden, nach denen wir nicht suchen würden und daher übersehen. Für die Suche nach neuen Heilpflanzen bedeutet dies: Eine KI kann Gemeinsamkeiten zwischen Heilpflanzen und noch unbekannten Pflanzen erkennen, die uns entgehen.
Wenn auch der Einsatz einer KI in anderen Bereichen ein mulmiges Gefühl in mir erzeugt: Sie zur Unterstützung bei der Pflanzenforschung einzusetzen finde ich außerordentlich interessant. Dadurch könnte sich unser Arzneischatz aus der Pflanzenwelt radikal erweitern.
Literatur
Wichtiger Hinweis!
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.