Pflanzenheilkunde

Grünes Gehirndoping für Studierende? Ginkgo für Gedächtnis und Konzentration

16. Mai 2023

Studierende stehen oft vor einem Dilemma: Die Fähigkeiten des Gehirns scheinen den Anforderungen des Lernpensums nicht gewachsen zu sein. Sie ermüden zu schnell, der Fokus und die Merkleistung reichen nicht aus. Viele wollen nachhelfen – oft mit fragwürdigen Substanzen. Vielleicht könnte Ginkgo eine Option sein?  

Sebastian Vigl

Lesezeit: 3,5 Minuten

Gehirndoping nimmt unter Studierenden zu

Wenn gesunde Personen ihre geistige Leistungsfähigkeit verbessern wollen, indem sie entsprechende Substanzen einnehmen, nennt man das Neuroenhancement – in der Alltagssprache ist auch der Begriff Gehirndoping gebräuchlich. Besonders Studierende interessieren sich dafür, um dem Lernpensum an der Universität besser gewachsen zu sein. Dafür finden unterschiedliche Substanzen Anwendung, angefangen bei eher harmlosen wie dem Alkaloid Koffein bis hin zum Arzneistoff Methylphenidat oder illegalen Drogen wie Speed oder Ecstasy.

Vorsicht! Besonders Arzneistoffe und illegale Drogen können erhebliche Nebenwirkungen haben und abhängig machen.

Viele Menschen machen sich daher auf die Suche nach Alternativen aus der Pflanzenwelt. Die am besten untersuchte Naturarznei zur Steigerung unserer Gehirnleistung sind die Blätter des Ginkgobaums (Ginkgo biloba). Aber eignen sie sich auch für junge Menschen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit?

Ginkgo stimuliert das Gehirn – bei gewissen Erkrankungen und im Alter

Die umfangreichen Studien zu Ginkgo zeigen, dass die wirksamen Inhaltsstoffe der Pflanze (allen voran die Flavonoide und Ginkgolide) das Gehirn auf verschiedene Weise fördern: Sie halten durch ihre antioxidativen Eigenschaften Schäden von Gehirnzellen fern. Sie steigern die Toleranz von Gehirnzellen gegenüber verminderter Sauerstoffsättigung des Blutes. Sie fördern die Aufnahme von Sauerstoff und Glukose in das Gehirn und hemmen die altersbedingte Abnahme von Rezeptoren für Neurotransmitter. Zudem wirken sie positiv auf die Gefäßgesundheit, was zusätzlich die Versorgung des Gehirns verbessern kann. [1]

Diese Eigenschaften können bei einer Reihe von Erkrankungen hilfreich sein. Schon die Kommission E sah 1994 ausreichend Hinweise für den Einsatz eines Trockenextraktes von Ginkgoblättern bei der symptomatischen Behandlung von leichtem bis mittelschwerem demenziellem Syndrom einschließlich primärer degenerativer Demenz, vaskulärer Demenz und deren Mischformen, hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen, neurosensorischen Störungen wie Schwindel und Tinnitus und zur symptomatischen Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (Claudicatio intermittens). Ähnliche Indikationen finden sich in den Monografien der WHO, des HMPC und der ESCOP. Eine Steigerung der geistigen Leistung bei gesunden Menschen, zum Beispiel zur Unterstützung während des Studiums, ist in diesen Monografien nicht erwähnt.

Ob auch Menschen, die nicht an einer neurologischen Erkrankung des Gehirns oder Durchblutungsstörungen leiden, eine kognitive Verbesserung durch Ginkgo erwarten dürfen, ist weiterhin umstritten. Einzelne Publikationen legen dies zwar nahe, so zum Beispiel eine 2011 publizierte Studie mit 188 gesunden Probanden mittleren Alters. Diese konnten sich nach der Einnahme eines Ginkgo-Extraktes besser an Erlerntes erinnern. [2] Seither wurden jedoch auch widersprüchliche Ergebnisse publiziert. Eine 2014 publizierte Studie mit gesunden Menschen mittleren Alters konnte beispielsweise keine positiven Wirkungen von Ginkgo auf die kognitive Leistung feststellen. [3] Anders verhält es sich bei gesunden, älteren Menschen: Bei ihnen zeigen sich in Studien eindeutige Hinweise, dass sich Gedächtnis und Konzentration durch die Einnahme von Ginkgo bessern. [4]

Hilft Ginkgo beim Studieren? Das sind meine Praxiserfahrungen

Ginkgo ist eine wunderbare Heilpflanze, aber kein Wundermittel. Es gibt durchaus junge Menschen ohne neurologische Erkrankungen, die nach der Einnahme von verbesserter kognitiver Leistung berichteten. Doch anderen wiederum hat Ginkgo nicht geholfen.

Meiner Erfahrung nach ist Ginkgo besonders dann einen Versuch wert, wenn die eigene kognitive Leistung, zum Beispiel durch chronischen Stress, Erschöpfung oder Schlafmangel, beeinträchtigt ist. Eher wenig aussichtsreich halte ich den Einsatz von Ginkgo bei Menschen, die sich bereits auf dem Höhepunkt ihrer geistigen Leistungsfähigkeit fühlen.

Achtung: Eine Selbstmedikation mit Ginkgo ohne Rücksprache mit Deiner Ärztin oder Heilpraktikerin ist keine Option! Bevor Du zu Ginkgo greifst, musst Du auf jeden Fall mit Deinem Arzt oder Deiner Heilpraktikerin darüber sprechen. Denn nur sie können beurteilen, ob es für Dich individuell wirklich ratsam ist, zu versuchen, Deine Leistungsfähigkeit mit Ginkgo zu steigern.

Hinweis! Das gilt es bei der Einnahme von Ginkgo zu beachten

Die in den offiziellen Monografien genannten positiven Wirkungen beziehen sich alle auf standardisierte Fertigpräparate aus Ginkgoblättern.

Achtung! Von ihrer Anwendung als Teedroge ist aufgrund möglicher toxischer Substanzen wie Methylpyridoxin abzuraten. Ich empfehle meinen Patientinnen die Einnahme von pflanzlichen Arzneimitteln auf Ginkgo-Basis, die in Apotheken erhältlich sind.

Vor deren Einnahme ist unbedingt die Packungsbeilage zu beachten. Nicht einnehmen solltest Du Ginkgopräparate, wenn Du gegen Ginkgo allergisch bist.

Mögliche sehr seltene Nebenwirkungen sind leichte Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen und allergische Hautreaktionen. Wenn Du Nebenwirkungen bemerkst, setze die Einnahme des Präparates aus und konsultiere Deine Ärztin oder Deinen Heilpraktiker!

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind theoretisch möglich. Besonders blutverdünnende Mittel sind hier zu nennen – auch wenn Studien jüngeren Datums hier Entwarnung geben. Wer blutverdünnende Medikamente einnimmt, sollte Ginkgo-Präparate nur nach ärztlichem Einverständnis zu sich nehmen. [1] Ferner sollten Ärzte bei geplanten Operationen über die Einnahme von Ginkgo unterrichtet werden.

Und zum Schluss

Ginkgo ist eine der Heilpflanzen, die am besten untersucht ist. Ihre Wirkweise bei altersbedingter oder krankheitsbedingter Abnahme der Gehirnleistung steht außer Frage. Umstritten ist noch, ob auch gesunde junge Menschen von der Einnahme der Ginkgo-Präparate profitieren und ob diese Pflanze ihnen auch beim Lernen hilft. Meiner Erfahrung nach ist sie dann einen Versuch wert, wenn die eigene Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, zum Beispiel durch chronischen Stress, Erschöpfung oder Schlafmangel.

Literatur

[1] Schilcher, Hrsg. Leitfaden Phytoherapie. 5. Edition: Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH; 2016

[2] Kaschel R. Specific memory effects of Ginkgo biloba extract EGb 761 in middle-aged healthy volunteers. Phytomedicine 2011; 18:1202-7. DOI: 10.1016/j.phymed.2011.06.021

[3] Solomon PR, Adams F, Silver A et al. Ginkgo for Memory Enhancement: A Randomized Controlled Trial. JAMA 2002; 288: 835–40. DOI: 10.1001/jama.288.7.835

[4] Lewis JE, Poles J, Shaw DP et al. The effects of twenty-one nutrients and phytonutrients on cognitive function: A narrative review. J Clin Transl Res. 2021; 7: 575-620

Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

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